MAX LIEBERMANN
Mit Genehmigung von Paul Cassirer, Berlin
DIE GARTENBANK
seits einer wahren Geschmacksrevolution ver-
fallen ist und jegliches Gefühl für den im-
manenten Zusammenhang der Künste eingebüßt
hat. Der Architektur steht der Laie im allge-
meinen verständnislos gegenüber; nicht ganz
so stiefmütterlich wird die Plastik behandelt;
erklärter Liebling ist die Malerei als die er-
zählende Kunst.
Diese stillose Art der isolierten Kunstbe-
trachtung wird von dem Durchschnitt des kunst-
liebenden Laienpublikums ohne weiteres auch
auf die alte Kunst übertragen. Dort sind es
die periodischen Jahresausstellungen, hier die
Museen, die die Fühlung herstellen sollen.
Leider hat man sich — und das gilt beson-
ders für den protestantischen Norden — daran
gewöhnt, einen Museumsbesuch als die sozu-
sagen einzig mögliche Gelegenheit anzusehen,
alte Kunst kennen zu lernen. Damit hat der
Laie sich bereits beinahe den Weg zum Ziel
verbaut. Die Bestimmung aller alten Kunst
war, Schmuck des Lebens zu sein, in mittel-
a'terlicher Zeit vornehmlich des kirchlichen,
später auch des privaten. Jedes alte Bild,
jede Skulptur wurde für ein bestimmtes Milieu
geschaffen und kann auch nur innerhalb dieses
zur vollen Wirkung kommen. Der im Museum
aufgestapelten Kunst ist diese Lebensatmo-
sphäre entzogen. Darin liegt für jeden, der
alte Kunst nur aus Museumsgängen kennt,
das größte Hindernis, ihr näher zu kommen.
Von der Wirkung eines nordisch - gotischen
Flügelaltares mit seiner zierlichen Filigran-
architektur kann sich nur eine Vorstellung
machen, wer einem solchen Bau einmal unter
alten gotischen Kirchengewölben gegenüber
gestanden hat, und von der ganzen Pracht
eines Tizianschen Altarbildes hat nur eine
Ahnung, wer einmal ein venezianisches Re-
naissance-Kircheninterieur betreten hat, in das
ein solches Bild sich einbettet, wie der Edel-
stein in seine Goldfassung. Darum muß man
dieses sehr verbreitete Vorurteil tief bedauern.
Die allermeisten auch unter den aufrichtig für
die Kunst Interessierten glauben genug getan
zu haben, wenn sie auf einer süddeutschen
410
Mit Genehmigung von Paul Cassirer, Berlin
DIE GARTENBANK
seits einer wahren Geschmacksrevolution ver-
fallen ist und jegliches Gefühl für den im-
manenten Zusammenhang der Künste eingebüßt
hat. Der Architektur steht der Laie im allge-
meinen verständnislos gegenüber; nicht ganz
so stiefmütterlich wird die Plastik behandelt;
erklärter Liebling ist die Malerei als die er-
zählende Kunst.
Diese stillose Art der isolierten Kunstbe-
trachtung wird von dem Durchschnitt des kunst-
liebenden Laienpublikums ohne weiteres auch
auf die alte Kunst übertragen. Dort sind es
die periodischen Jahresausstellungen, hier die
Museen, die die Fühlung herstellen sollen.
Leider hat man sich — und das gilt beson-
ders für den protestantischen Norden — daran
gewöhnt, einen Museumsbesuch als die sozu-
sagen einzig mögliche Gelegenheit anzusehen,
alte Kunst kennen zu lernen. Damit hat der
Laie sich bereits beinahe den Weg zum Ziel
verbaut. Die Bestimmung aller alten Kunst
war, Schmuck des Lebens zu sein, in mittel-
a'terlicher Zeit vornehmlich des kirchlichen,
später auch des privaten. Jedes alte Bild,
jede Skulptur wurde für ein bestimmtes Milieu
geschaffen und kann auch nur innerhalb dieses
zur vollen Wirkung kommen. Der im Museum
aufgestapelten Kunst ist diese Lebensatmo-
sphäre entzogen. Darin liegt für jeden, der
alte Kunst nur aus Museumsgängen kennt,
das größte Hindernis, ihr näher zu kommen.
Von der Wirkung eines nordisch - gotischen
Flügelaltares mit seiner zierlichen Filigran-
architektur kann sich nur eine Vorstellung
machen, wer einem solchen Bau einmal unter
alten gotischen Kirchengewölben gegenüber
gestanden hat, und von der ganzen Pracht
eines Tizianschen Altarbildes hat nur eine
Ahnung, wer einmal ein venezianisches Re-
naissance-Kircheninterieur betreten hat, in das
ein solches Bild sich einbettet, wie der Edel-
stein in seine Goldfassung. Darum muß man
dieses sehr verbreitete Vorurteil tief bedauern.
Die allermeisten auch unter den aufrichtig für
die Kunst Interessierten glauben genug getan
zu haben, wenn sie auf einer süddeutschen
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