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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 19.1869

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Lichtenstein, ...: Altes und Neues
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https://doi.org/10.11588/diglit.9045#0003

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Zeitschrift

des

Kunst-Gkwerbe-Vereins.

Nennzchnt« Jahrgang.

München. *2 / 1869.

Die Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Kunstbeilagen. Die Vereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich. Im Buch-
handel kostet dieselbe 4 fl. s. W. =r 2 Thlr. 12 Sgr. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 6 kr. — 2 Sgr. für den Raum einer gespaltenen
Petitzeile berechnet. Sc and ig e Inserats erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung von

Theodor Ackermann dahier wenden.

Altes und Neues.

!

Von Dr. Juchtenstem.

Die Zeitschrift des Münchener Knnstgewerbevereins tritt mit
diesem neuen Jahrgang in etwas veränderter Gestalt auf. Es -
dürfte angemessen sein, bei einer solchen Gelegenheit den Standpunkt
anzugeben, von welchem aus die Zeitschrift in Zukunft redigirt wird.
Dieser Standpunkt wird sich durch die Beantwortung der folgenden
Fragen am deutlichsten erkennen lassen. Die eine Frage lautet
folgendermaßen: In welcher Beziehung muß die kunstgewerbliche
Thätigkeit der lebendigen Gegenwart sich von dem herrlichen Erb-
theil der Vergangenheit abhängig machen? Hieran schließt sich die
andere Frage: Hat nicht die kunstgewerbliche Thätigkeit unserer Zeit
den Beruf, ihre Eigenthümlichkeit und Selbständigkeit, also ihre Un-
abhängigkeit von entschwundenen Zeitaltern zu offenbaren? Soll
die Neuzeit, die doch so vielfach sich von der ganzen Vergangenheit
scharf unterscheidet, nicht auch auf kunstgewerblichem Gebiete ihr
eigenes Gesicht haben und zeigen können, während ja die kunst-
gewerblichen Erzeugnisse des klassischen Alterthums, des Mittelalters
und der Renaissance ihre auf den ersten Blick unterscheidbaren
Physiognomieen besitzen?

Es soll nun zunächst die erste Frage beantwortet werden. Die
Gewerbtreibenden unserer Tage sollen von der Vergangenheit lernen;
diese darf aber nicht als eine todte Vergangenheit angesehen werden,
wenn sie wahrhaft fruchtbringend wirken soll. Vielmehr muß man
sich recht anschaulich vorstellen, daß die Vergangenheit, deren Schüler
man sein will, selbst einmal eine ganz lebendige Gegenwart gewesen
ist, in welcher die Menschen mit Lust und Liebe ihre persönliche
Empfindungsweise wie die Grundstimmung ihrer Zeit den Werken
ihrer Hand cingehaucht haben.

Diese originelle Empfindungswcise geht bei den alten Meistern
der verschiedenen Epochen in Alles über, auch in die technische Be-
handlung des Materials, aus welchem die Geräthschaften gebildet
wurden. Man kann heutzutage von den alten Meistern gar nicht
genug lernen, wie bei ihnen die technische Benützung der natürlichen
Eigenschaften, welche das Material besitzt, und die künstlerische Be- !
seelung des Letzteren sich vollkommen durchdrangen. Man wird j
auch für die Folgezeit verschiedene Grundformen der Geräthschaften,
welche ihrem Zweck so vollkommen entsprechen, daß sie nicht besser
erfunden werden können, beibehalten müssen. Ueberhaupt lernen
und gar nicht genug lernen können wir von den Alten; auch das
ist von ihnen zu lernen, daß sie nicht nur ihre Hand, sondern auch
ihren Kopf geübt haben. Das kunstreiche Nürnberg und Augsburg
legen wie noch andere Städte Zeugniß dafür ab. In diesen Städten
übten sich die ehrsamen Handwerker auch in ihren Feierstunden als
Meistersänger im künstlerischen Gestalten. Sie wurden hiedurch
nachsinnend und sinnig, so daß auch die Werke ihrer Hand nicht
leer, sondern beseelt erscheinen. Nun ist freilich den heutigen Hand- i

werkern nicht zuzumuthen, daß sie selbst poetisch schaffen, wie die i

Meistersänger; aber einzeln oder in kleinen Gesellschaften könnten
sie mehr lesen, um ihre künstlerische Phantasie durch die herrlichen
Sagen unseres Volkes wie durch die Schöpfungen unserer großen
Dichter wachzurufen. Dann werden die Kunsthandwerker auch mehr
aus sich herausschaffen können, während sie jetzt meistens nur nach-
ahmen.

Wir kommen nun zur Beantwortung der zweiten Frage.

Betrachten wir die heutzutage in Hülle und Fülle entstehen-
den, mehr oder weniger gelungenen Nachahmungen der Werke
früherer Epochen, so werden wir leicht finden, daß diese Nachahm-
ungen durchschnittlich einen gewissen Beigeschmack haben, welcher
weder der Epoche des Alterthums, noch der des Mittelalters, noch
der Renaissance angehört. Es ist das eben der moderne Beige-
schmack. Daher stammen auch die Ausdrücke: das ist im antiki-
sirenden Geschmack, das ist im modern-gothischen, im modern-mauri-
schen Geschmack, das wieder im modernen Renaissance-Styl gearbeitet.
Das Moderne steckt nun einmal in den Arbeiten der Gegenwart,
ganz einfach darum, weil die Verfertiger derselben unserer modernen
und keiner andern Zeit angehören. Sie können nicht vollständig
ihre Zeit verläugnen. Aber das Moderne ist nicht als etwas
Selbständiges vorhanden, es tritt nur als Zugabe auf.

Das Moderne für sich, welches ein anderes Gesicht als die
Antike, als die Gothik und als die Renaissance zeigt, wird erst
dann seine unverkümmerte Originalität zur Erscheinung bringen
können, wenn die Vertreter des Kunstgewerbes mit größerer Kühn-
heit dasjenige mehr benützen, was unserer Zeit ganz eigenthümlich
ist. Es seien in Kürze nur einige hieher gehörige Punkte erwähnt.

Die neue Benützung von Gaben, welche die Natur bietet, und
die Dienstbarmachung der Naturkräfte durch Wissenschaft und Technik
haben schon eine Reihe neuer Constructionen für Geräthschaften
ins Leben gerufen. Es sei nur an die Petroleumlampe, an den
Behälter für kohlensaure Getränke (Siphon), an die Nähmaschine,
an Gasarme u. s. w. erinnert. Alle diese Gegenstände wie auch
die Locomotive warten noch ihres Schmuckes, welcher mit ihrer
Construktion und mit ihrem Zweck in völliger Uebereinstimmung
sich befindet. Um aber zu einer neuen Art der Ausschmückung zu
gelangen, muß man die'poetischen Motive verkörpern, welche in den
neuen Erfindungen und Constructionen enthalten sind. Der Anfang '
hiezu ist gemacht. Hier in München hat Echter in der Einsteig-
halle des Bahnhofes Gestalten der fortbewegenden Dampfkraft und
der electrischen Telegraphie geschaffen. In den Durchfahrtsthoren
hat er mit Arabesken die Schilderung der Zusanimenführung von
Menschen aus alten Welttheilen, sowie die Darstellung der Arbeiten
verflochten, welche bei Eisenbahnbauten nothwendig sind. Allegorische
Figuren, sowie Bilder, welche die lebendige Handthierung der Ar-
beiter selbst veranschaulichen und welche sich auf die Gebiete der
Chemie, Physik und Mechanik beziehen, sind von Eugen Neu-
reuther und Hövemeier für das Polytechnicum entworfen worden.
Für einen Tafelaufsatz hatte Neureuther schon früher Darstellungen
 
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