Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

DOI Artikel:
Bücher-Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0278

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BÜCHER-BESPRECHUNGEN

Julius Meier-Graefe: Entwicklungsgeschichte
der modernen Kunst. Vergleichende Betrachtung der
bildenden Künste als Beitrag zu einer neuen Aesthetik.
Zwei Bände Text, ein Illustrationsband. Stuttgart. Ver-
lag Julius Hoffmann.

Begeistert treten die einen für dieses Werk ein,
andere greifen es voll Erbitterung an, und beides erklärt
sich leicht. Denn hinter den prachtvoll gedruckten zwei
Bänden steht eben kein Kunstschriftsteller gewöhnlichen
Schlages, der uns flaues Lob oder ein paar Worte gleich-
gültigen Tadels abringt, sondern aus jedem Satze spricht
das Temperament einer Persönlichkeit, deren Pfade
nicht die aller Welt sind, und man streitet nun, ob diese
Wege in verworrenes Dickicht leiten oder zu Höhen
mit weiter Fernsicht. Aber Freunde und Gegner, die
anständigen wenigstens, erkennen in gleicher Weise an,
dass es Meier-Graefe um seine Probleme und ihre litte-
rarische Formulierung sehr ernst war. Dass diesem
Autor sein Buch nicht einen Verlegerauftrag, sondern ein
Erlebnis bedeutete. Und darüber, über die imponierende
Gesamtleistung sollten wir uns freuen und nicht um
Einzelheiten zanken. Gewiss, Manches, meinetwegen
Vieles, könnte anders sein. Der Name Poussin wird stets
mit schuldiger Ehrfurcht genannt, aber diesem grossen
Ahnen der französischen Kunst hätte ebenso gut ein
selbständiges Kapitel gebührt wie dem alten Menzel,
der mit unsanfter Hand beiseite geschoben wird. Ge-

rade Meier-Graefe, der das Heilsame der Tradition zu
würdigen vermag, durfte jene Linie, die einzig fort-
laufende in Deutschland, die von Chodowiecki über
Schadow und den Pferde- Krüger zu Menzel führt,
nicht ausser Acht lassen. Einige Kapitel, z. B. jenes
über Rodin würden durch ein paar energische Striche
sehr gewinnen, Unter- und Überschätzungen mancher
Künstler können Meier-Graefe vorgeworfen werden
und endlich hätte man ein stärkeres Hervorheben der
Entwicklungslinien gewünscht. All1, diese Fehler ent-
stammen Meier-Graefes stark ausgeprägtem Subjektivis-
mus, aber wären ihrer noch viel mehr, sie könnten dem
Werke seine Bedeutung für die Kunstgeschichte nicht
rauben.

Seine Ziele hat sich Meier-Graefe hoch und weit
gesteckt. Das Buch sollte „eine Beschäftigung mit dem
Dasein sein, in dem die Menschen verschwinden, die
Werke bleiben". Darum erklärt er — in scharfem Gegen-
satz zu Muther — das Wesen eines Schaffenden nie aus
einer Zeitströmung, beruft sich, um das Streben eines
Malers zu erklären, niemals auf Dichter und Musiker,
wendet auch kein Mal — um eine Tugend seines Stiles
gleich mit zu erwähnen — die Terminologie einer Kunst
auf die andere an, weiss nichts von „Farbenakkorden"
oder den neuerdings beliebten „Dramen der Linie".

In fernste Vergangenheit leiten die ersten Kapitel
des Werkes. Vor die strenge Pracht airchristlicher

271
 
Annotationen