NATUR UND KUNST
VON
GUSTAV PAULI
er moderneGrossstadtmensch
mit seinen teils überfeinerten
teiJs abgestumpften Nerven
empfindet eine Sehnsucht
nach der Grösse, Freiheit
und Frische der Natur, die
ihm angeboren zu sein
scheint und die es ihn eben
darum übersehen lässt, dass dieses Gefühl sich
erst als das späte Erzeugnis einer reifen Kultur
eingestellt hat. Und doch könnte ihn schon ein
Blick auf seine roheren Zeitgenossen draussen,
jenseits der Vorstädte, eines besseren belehren. Für
unsern Bauern ist noch heute wie für den ursprüng-
lichen Menschen vor und seit Jahrtausenden die
Natur Weideland, Jagdgrund, Acker oder eine Ver-
sammlung übermenschlicher feindseliger Gewalten.
Er betrachtet sich seine Felder daraufhin, wieviel
Kartoffeln und Roggen sie ihm tragen mögen, nicht
aber, wie der Tau auf ihren Halmen blinke oder
welche Farbenschattierungen Sonne, Nebel und
Regen auf ihnen malen. Die ästhetische Betrach-
tungsweise ist gewiss die letzte, die der Natur zu-
teil wird. In unserem Sinne eines liebevollen Sich-
verlierens, in die Aussenwelt ist sie ein Geschenk
der neuen Zeit. Zuerst begegnet sie uns als ein-
sames weithin leuchtendes Beispiel in dem heiligen
Mönche von Assisi, der das übervolle Herz, das er
der irdischen Geliebten verweigerte, der ganzen
Kreatur entgegentrug. Aber wie lange, Jahrhun-
derte lang, hat es dann noch gewährt, bis dieses
Mitfühlen mit anderen Individuen oder gar mit
Tieren, vollends bis die Beseelung landschaftlicher
Natur ihren klassischen Ausdruck in der bildenden
Kunst fand!
Ich sprach von einem Sichverlieren in die
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VON
GUSTAV PAULI
er moderneGrossstadtmensch
mit seinen teils überfeinerten
teiJs abgestumpften Nerven
empfindet eine Sehnsucht
nach der Grösse, Freiheit
und Frische der Natur, die
ihm angeboren zu sein
scheint und die es ihn eben
darum übersehen lässt, dass dieses Gefühl sich
erst als das späte Erzeugnis einer reifen Kultur
eingestellt hat. Und doch könnte ihn schon ein
Blick auf seine roheren Zeitgenossen draussen,
jenseits der Vorstädte, eines besseren belehren. Für
unsern Bauern ist noch heute wie für den ursprüng-
lichen Menschen vor und seit Jahrtausenden die
Natur Weideland, Jagdgrund, Acker oder eine Ver-
sammlung übermenschlicher feindseliger Gewalten.
Er betrachtet sich seine Felder daraufhin, wieviel
Kartoffeln und Roggen sie ihm tragen mögen, nicht
aber, wie der Tau auf ihren Halmen blinke oder
welche Farbenschattierungen Sonne, Nebel und
Regen auf ihnen malen. Die ästhetische Betrach-
tungsweise ist gewiss die letzte, die der Natur zu-
teil wird. In unserem Sinne eines liebevollen Sich-
verlierens, in die Aussenwelt ist sie ein Geschenk
der neuen Zeit. Zuerst begegnet sie uns als ein-
sames weithin leuchtendes Beispiel in dem heiligen
Mönche von Assisi, der das übervolle Herz, das er
der irdischen Geliebten verweigerte, der ganzen
Kreatur entgegentrug. Aber wie lange, Jahrhun-
derte lang, hat es dann noch gewährt, bis dieses
Mitfühlen mit anderen Individuen oder gar mit
Tieren, vollends bis die Beseelung landschaftlicher
Natur ihren klassischen Ausdruck in der bildenden
Kunst fand!
Ich sprach von einem Sichverlieren in die
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