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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Servaes, Franz: Ferdinand Georg Waldmüller: (1793-1865)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0420

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Ein Landsmann und Zeitgenosse Grillparzers
(1791 —1872), doch dem Dichter an Energie um
ebensoviel überlegen, als er ihm an künstlerischer
Abgeklärtheit nachstand, hat Waldmüller, gleich
jenem, reichlich Gelegenheit erhalten, dasjenige
kennen zu lernen, was man kurz und treffend als
„österreichische Künstlertragik" charakterisieren
kann. Wohl nirgendwo wird der Künstler in ein
so unseliges sociales Milieu hineingeboren als in
Oesterreich, und ganz besonders in Wien. Die Ge-
fährlichkeit dieser Umgebung besteht in ihrer inner-
lich widerspruchsvollen und kaum je völlig durch-
schaubaren Art. Eine Stadt, voll von künstlerischer
Tradition, voll von Geschmack und natürlichem
Liebreiz, bestrickend für Jeden, der sich ihr hin-
giebt, für den Einheimischen aber geradezu die
einzige Stadt — bietet Wien für den Künstler soviel
Anziehung, dass er gern mit seiner ganzen Natur in
sie übergeht und sich nicht von ihr losreissen kann,
ohne von seinem Selbst etwas, und vielleicht das
Wurzelkräftigste, fortzugeben. Aber
dieselbe Stadt steht dem Künstler, der
den eingeborenen Trieb hat, über sich
hinauszuwachsen und seine Zeit mit un-
gekannten Werten zu beschenken, mit
solch einer erbitterten Feindseligkeit
gegenüber, als erblicke sie in der über-
ragenden Eigenkraft eines Mitleben-
den nicht bloss ein Attentat auf die
gesamte künstlerische Tradition son-
dern eine direkte provokatorische Be-
leidigung der Gegenwart. Man mag
und kann sich nichts anderes denken,
als dass solch ein Mensch in seinem
tückischen Herzen die wohlüberlegte
Absicht hege, seine Zeitgenossen zu
foppen (zu „frozzeln", zu „würzen")
und dass es Ehrensache sei, ihm nicht
„aufzusitzen", nicht auf den Leim zu
gehen. Daraufhin entwickelt diese Stadt
ein unheimliches Talent in der Organi-
sierung eines weitverzweigten hem-
mungsreichen Widerstandes, der in
seinen einzelnen Aeusserungsformen
fast ungreifbar ist, in seiner Wirkung
jedoch einer schleimigen Umstrickung
und Erstickung gleichkommt. So er-
schöpft sich das Temperament des
Künstlers vielfach in quälenden, auf-
reibenden und unfruchtbaren Klein-
kämpfen, und je wienerischer sein Herz

schlägt, je wärmer und naiver es an seiner Vater-
stadt hängt, desto bitterer empfindet es die Ent-
fremdung und gehässige Verhetzung.

Dieses alles hat Waldmüller bis auf die Neige
ausgekostet. Nach langen Mühsalen und Zurück-
setzungen hatte er es zu einer bescheidenen Staats-
anstellung gebracht, indem er als Custos der
akademischen Galerie einen jahresgehalt von acht-
hundert Gulden bezog. Da sah er mit vierund-
sechzig Jahren plötzlich die ganze Stadt wider sich
in Aufruhr. Er hatte es (1857) gewagt, in einer
Broschüre, „Andeutungen zur Belebung der vater-
ländischen Kunst", in offenherziger Weise auf die
Schäden des herrschenden Akademie-Unterrichtes
hinzuweisen, und wurde nun wegen dieser Keck-
heit gemassregelt. Zwangsweise wurde er mit
halbem Gehalt (400 Gulden) pensioniert, und er
musste nun sehen, dass er von seiner dreistubigen
Wohnung zwei Zimmer vermietete, und dass er
seiner Gattin aus zurückgelegten Ersparnissen ein

F. G. WALDMÜLLER, WEIBLICHES BILDNIS MIT GENEHMIGUNG VON F. BRUCKMANN

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