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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Scheffler, Karl: Feuerbach, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0458

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die Masse, schon aus Erhaltungstrieb,
stets feindselig reagieren, wenn Zu-
stände ihrer geistigen, sittlichen oder
ästhetischen Kultur vom Künstler als
dürftig oder verbesserungsfähig hin-
gestellt werden, Reformatoren und
Apostel werden immer verfolgt. Die
neueren Maler einer gewissen roman-
tischen Geistesanlage sind aber, auf
Grund einer leidenschaftlichen Kultur-
sehnsucht, nichts anderes als Apostel
und Reformatoren. Zur Hälfte bestand
ihre Thätigkeit im ganzen neunzehnten
Jahrhundert darin, gegen ihre Zeit zu
protestieren, der vorgeblichen Ruhm-
losigkeit ein hochgeartetes persön-
liches Ideal entgegenzustellen und ihre
Sehnsucht nach Grösse, Reinheit und
Adel dem demokratisch entarteten Ge-
schlecht ins Gesicht zu schleudern.
Nicht zum Vorteil der Malkunst, die
solche ungeheure Beschwerung mit
einem Wollen, dessen Ziele für die
Kunst Voraussetzung sein müssen, nicht
verträgt.

Auch Feuerbachs trauriges Men-
schenschicksal ergab sich zum grossen
Teil aus dem leidenschaftlichen Drang
des Künstlers, seiner Zeit hohe Ziele
zu weisen und sich gegen ihre herr-
schenden Tendenzen aufzulehnen. Die
Tragik dieses Lebens würde jedoch
heute nur noch als ein Kampf vor dem
Sieg empfunden werden, wenn des
Künstlers Ziele sich inzwischen voll-
ständig verwirklicht hätten, wenn er
als einer der seltenen Führer erschiene,
die ihrem Volke wohl um Jahrzehnte voraus
sind, aber doch auf dessen Zukunftswegen wan-
deln, deren Werk nach einer gewissen Zeit restlos
anerkannt und dankbar genutzt wird, weil es dann
mit dem allgemeinen Wollen übereinstimmt. Von
dieser Art ist Feuerbachs Werk aber nicht. Das
Urteil der Geschichte bezeichnet heute ohne jede
Sentimentalität und mit all dem gesunden Egois-
mus, der die Toten ihre Toten begraben lässt, die
Teile dieser Kunst, die dem fortschreitenden Lebens-
gedanken noch nutzen können und ignoriert andere
Teile, die wesenlos geworden sind. Zur tragischen
Figur in der deutschen Kunstgeschichte wird dieser
Maler nicht allein, weil er sich gegen seine Zeit

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*f-

ANSELM FEUERBACH, ITALIENISCHE LANDSCHAFT

aufgelehnt hat und seinem Volke selbstherrlich eine
aus seinem Geistestammende Lebensidee oktroyieren
wollte, sondern auch, weil er für seine Idee zur
Hälfte umsonst gelitten hat, weil aus seinem Pro-
test ebenso sehr die höhere Kraft wie die Schwäche
sprach. Die Geschichte, das heisst der Lebens-
instinkt Aller, will im Prinzip dasselbe, was
Künstler von der Anlage Feuerbachs wollen: die
Höhenentwickelung; aber die Arbeitsweisen
treffen immer nur in einzelnen Punkten zusammen.
Wo ein solches Zusammentreffen erfolgt, nimmt
die Geschichte die Hilfe der Individuen gern hin;
aber sie lehnt ohne Teilnahme die Arbeit des
Künstlers ab, wo dieser Sonderziele verfolgt. Sie

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