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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Scheffler, Karl: Feuerbach, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0525

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handelt; doch erweist es sich oft auch als Werk-
Zeug, das, dem Zauberbesen gleich, stärker sein
könnte als der Meister, wenn dieser die bannende
Formel nicht zu finden wüsste.

Gäbe es eine erprobte Farbenpsychologie, so
könnte man Feuerbachs Gemütsart von seiner be-
sonderen Koleristik ablesen. Er bevorzugte schwere
graue, braungraue und vor allem violette Töne,
denen er gern weiss und schwarz gesellt; in den
Landschaften kehrt dann noch ein kaltes, fahles
Grün immer wieder. Ueber allen Bildern liegt eine
seltsam rauchige Kälte des Tons, eine starre Pracht,
die frösteln macht. Es lebt in dieser sicher und
mit grossem Sinn gebildeten Skala, in dieser stil-
kräftigen Vereinfachung etwas wie eine dunkle
Orgelharmonie; aber man spürt zugleich die Deca-
dence darin. Das Kolorit droht mit gewitterhafter
Düsterkeit, schreckt mit seinem kalten Reichtum
und geht in Königsgewändern einher, die impo-
nierend dem Betrachter eine Distanz anweisen.
Das warme Leben scheint in einer unnatürlichen
Ewigkeitstemperatur gefroren. Wenn man durch
diese Bilderwelt geht, erwacht eine fremdartige
Empfindung, wie der Neuling sie vor alter Kunst
erlebt. Es ist die Farbe eines Spätlings; der ganze
Mensch ist sozusagen auf Violett und Grau ge-
stimmt, auf die äussersten Farben des Spektrums.
Müde, schwere Melancholie liegt in Feuerbachs
Farben, die in grossen Flächen zwischen stolzen
Linien stehen und von belebenden Lichtstrahlen
kaum differenziert werden. Und doch sind die
Tonverhältnisse so musikalisch richtig, die Kon-
traste so charaktervoll, dass sich die Wirkungen
wie Erlebnisse einprägen. Die Naturfarbe ist streng
stilisiert und in das System einer prächtig harmo-
nischen Ornamentalität gebracht; dieses System er-
möglicht grosse monumentale Wirkungen, aber es
setzt, ebenso wie die lineare Stilidee, jedesmal
den ganzen Menschen voraus. Wo die Farbe nicht
ursprünglich als Erlebnis empfunden ist, wie zum
Beispiel in vielen der Kinderbilder, wird sie gleich
zur leeren Dekorationsphrase. Auch als Kolorist
ist Feuerbach entweder stark oder ganz schwach.

Dieses Schwanken zwischen Höhen und Tiefen
ist überall das wesentliche Merkmal der Feuer-
bachschen Kunst. Einmal wuchs seiner An-
schauungskraft die Nanna, das Modell und die
Geliebte, diese herrliche Erscheinung einer hab-
gierigen römischen Schustersfrau, die den Mittel-
losen kalt verliess, zur sybillischen Grösse empor,
zur düstern Erhabenheit einer Medea, zur herben

Gewalt einer Melpomene; und zuweilen blieb sie
im Bild des Malers das Modell und die römische
Kleinbürgerin. Auch dieses romanhafte Nanna-
verhältnis ist sehr charakteristisch für Feuerbach;
er war einer der heute aussterbenden Maler, die
auf ein schönes Modell angewiesen sind. Wenn es
ihm gelang, zu finden, was er brauchte, edle Rasse-
gestalten und -köpfe, wie die Lucia Brunacci oder
wie eben die königliche Nanna, war er genial
genug, über das schön Lineare und Plastische hin-
aus, das allgemein Menschliche darin mit grossem
Sinn zu erfassen. Er hat in seinen Nannaporträts
neben der Griechin das edle Tier zu geben ver-
mocht und hat dann wieder seine ganze in aristo-
kratischen Formen schwelgende Zärtlichkeit auf-
gewandt, um die schönen Hände der Geliebten,
die müssig, wie „nackte Odalisken" auf dem
schwarzen, violett schimmernden Gewand ruhen,
mit hoher Meisterschaft zu malen. Feuerbachs
Porträts reissen den Modernen vielleicht zur spon-
tansten Bewunderung hin. Aus den Selbstporträts
der letzten Jahre spricht nicht nur der ganze Mensch
in all seiner Determiniertheit, Grösse, Leidenschaft,
Eitelkeit und Sehnsucht, aus di esen, im seltsamen Kon-
trast zum dunkeln Haar trauervoll klar blickenden
blauen Augen, schaut nicht nur das kranke Wollen
ergreifend auf den Betrachter hinab: zugleich geben
diese Porträts — vor allem auch das Bildnis der Stief-
mutter aus dem Jahre 1877 — eine reife, kultivierte,
ganz sichere und erschöpfende Malerei, die den Schüler
der Franzosen in einer bewunderungswürdigen Weise
als Sieger über die meisten deutschen Maler des
neunzehnten Jahrhunderts erscheinen lässt.

Als ein Sieger, der tragisch lebte und früh starb,
aber in gewissen Punkten selbst den Stolz des Jahr-
hunderts, Leibl, überwunden hat; dessen „Hand
den Gedanken oft nicht nachkommen konnte",
der zuweilen zu solchen Kindlichkeiten seine Zu-
flucht nahm, dass er sagte, ein Schmetterling auf
einem Iphigenienbild solle die Seele „bedeuten"
und der doch als einer der ganz Wenigen zur Ein-
heit von Stil und Wirklichkeit gelangte; der unserer
Zeit vieles von dem gerettet hat, das im Prinzip
der Impressionisten nicht Platz finden kann und
doch unverlierbar sein muss; in dem ein Franzose,
ein Grieche und ein Akademieprofessor steckte, ein
Meister und ein ewiger Primaner, und der trotz
Frankreich und Italien einer der deutschesten ist von
allen Genossen. In ihm war nichts von dem
malerischen Ingenium Rembrandts oder Rubens.
Nie hat er den Zeichenstift und selten den Pinsel zur

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