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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Scheffler, Karl: Feuerbach, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0526

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Hand genommen aus reiner Zeichnerlust, aus naiver
Freude an der Anschauung, am Bilden; immer be-
zogen sich die Studien auf grosse Gedanken und
Pläne, immer waren sie nur Hilfsmittel, um das zu
gestalten, was dieser Greger Werle als die „ideale
Forderung" empfand. Das begrenzte sein Schaffen
und lässt ihn erscheinen, als stände er unter der Herr-
schaft einer fixen Idee; das macht ihn zu einem Ver-
zauberten, zu einer Seele ohne Lebensfiille, Humor
und saftvolle Frische. Das lässt ihn nie zum Genuss
kommen, ewig verzweifeln und klagen und die Ge-
duld der besten aller Stiefmütter nach jeder Richtung
missbrauchen. Aber andererseits giebt dieser fana-
tische Trieb nach oben auch seiner ganzen Art die
hohe Kultur. Es lacht in den schwerblütigen
Werken nicht die Lebensfreude, es weint nicht das

Mitleiden darin und es fehlen alle naiven, unmittel-
baren Gefühle; diese Kunstwelt wird ganz be-
herrscht von der feierlichen Statue des Ideals, deren
blosse Gegenwart die Schwäche straft, der sich die
Gläubigen ernstschweigend nahen und zu deren
Füssen die Strebenden stumm verbluten, das sehn-
süchtige Auge auf den rätselhaft starren Fernblick
der Göttin gerichtet. Auch Feuerbach starb dieser
Göttin, nachdem er ihr, inbrünstiger als irgend ein
anderer, gedient hatte, jede Stunde eines schweren
Lebens. Ihm zerbrach das nach Schönheit kranke
Herz, bevor ihm der Dank seines Volkes zugerufen
werden konnte; der Dank, der einem so hohen
Sinn, einem so reinen Menschentum, einer so leiden-
schaftlichen und erfolgreichen Anstrengung um
das Unsterbliche gebührt.

ANSELM FEUERBACH, TIVOLI
 
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