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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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schon während der letzten Jahre von Rembrandts Leben
war man mit den alten holländischen Begriffen in Kunst
und Literatur nicht mehr zufrieden, und j etzt noch lese ich
mit Widerwillen, wie man die Namen latinisierte und
in holländischen poetischen Werken über griechische
Götter und mythologische Figuren sprach, die zu unserem
holländischen Himmel so schlecht passen. Aber zum
Glück hat sich Rembrandt stark genug gefühlt, um un-
beirrt seinen eigenen Weg zu gehen, und die Zeit liegt
hinter uns, in der man von den kunstgefährlichen Theo-
rien sprach, die seinen Gemälden anhaften sollten, man
hielt sich an die Behandlung der Technik, aber zu der
tiefen, ihr zu Grunde liegenden Idee wusste man nicht
durchzudringen. Aber die liberalen Ansichten der mo-
dernen Welt sind auch auf dem Gebiete der Kunst sieg-
reich gewesen, heute fühlen und wissen wir, dass die
vermeintlichen Schwächen und Übertreibungen nur die
Eigenart eines ausserordentlichen Menschen bilden, und
wir entbehren sie nicht gerne, weil wir dann befürchten
müssen, ein unvollständiges Bild der Persönlichkeit vor
uns zu haben, von der jede Lebensäusserung unser
Interesse rege macht.

Ich schliesse.....aber, wie so manches Mädchen

an ihren Liebhaber schreibt: ich höre mit der Feder auf,
aber nicht mit dem Herzen . . . ich denke an das Porträt
von ,,Jan Six", dieses seltene Juwel, ich denke an das
Louvre, an Kassel, an Braunschweig und an was nicht
alles — aber genug. Ich wollte in diesen Zeilen dem
Leser nur sagen, wie ich mir Rembrandt stets vorgestellt
habe, als das Ideal des Künstlers, frei und ungebunden
in seinem Werk, genial in allem, was er tat, eine Figur,
in der sich die Grösse unserer alten Republik abspiegelt.

•Sä-

Else Ölten hat eine autorisierte Übersetzung der
ganzen kleinen Broschüre angefertigt, die im Verlage
der Concordia (Hermann Ehbock) erschienen ist.

Max Klinger ist zum Ehrendoktor der Universität
Greifswald ernannt worden.

wird ein Mann, der eben den Rodin vorführte, heim-
eeschickt?

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Das Gerücht, das schon seit einiger Zeit im Umlauf
war, hat sich bewahrheitet: Harry Graf Kessler, unser
Mitarbeiter, verlässt das grossherzogliche Museum für
Kunst und Kunstgewerbe in Weimar. Es wird be-
hauptet, dass die Ausstellung von Skizzen Rodins, die
er veranstaltete, die Veranlassung zum Rücktritt war.

Ist es nicht ein Zusammentreffen eigener Art: in
Jena Rodin Ehrendoktor, sendet ein Werk, die Univer-
sität beglückwünscht sich hierzu, und in der eine halbe
Stunde entfernt liegenden Hauptstadt des Ländchens

Rodin hat sich über die Einwirkung geäussert, die
er durch die Tänzerinnen des Königs Sisowath von Kam-
bodscha erfahren hat. Er drückt sich so begeistert über
die neuen Anregungen aus, dass man das Unmittelbare
des Eindrucks merkt und hierdurch beinah gerührt
werden kann. Besonders ist dies an der Stelle der Fall,
in der er über die Altersgrenze spricht, an der er an-
gelangt ist und die ihn verhindert, noch erheblichen
Nutzen von den neuen und ausserordentlichen An-
regungen zu ziehen. So erinnert er an den alten Ho-
kusai, der bis zum letzten Tage von sich gesagt hat, dass
er lerne und lerne ... Rodin ist den Tänzerinnen nach
Marseille gefolgt, dem Hafen, von dem sie die Rück-
fahrt antraten, um wenigstens noch Studien und Skizzen
nach ihnen anzufertigen, so lange sie noch in seiner
Sehweite weilten, und äusserte zu einem Journalisten:
„Ich habe mit meinen niedlichen Freundinnen die vier
schönsten Tage meines Lebens verbracht. Ich hatte
schon die kleinen Javanerinnen gern gehabt, die sich
hier auf der Ausstellung sehen Hessen und die präch-
tigen Prinzessinnen von Kambodscha haben jetzt in mir
meine alten Eindrücke erneuert und verzehnfacht. Sie
haben für mich die Antike wieder aufleben lassen. Sie
haben mir in der Wirklichkeit die schönen Gesten, die
schönen Bewegungen des menschlichen Körpers gezeigt,
die die Alten im Bilde festzuhalten verstanden. Sie
haben mich plötzlich in die Natur getaucht, haben sie
mir von einer ganz neuen Seite gezeigt und haben mich
gelehrt, dass der Künstler hienieden keine andere Auf-
gabe hat, als die Natur zu beobachten und aus der Quelle
der Natur zu schöpfen. Ich bin ein Mensch, der sein
ganzes Leben dem Studium der Natur gewidmet hat
und der für die Werke der Antike eine unendliche Be-
wunderung hegt; Sie können sich also denken, wie auf
mich ein so vollendetes Schauspiel einwirken musste,
ein Schauspiel, das mir die Antike wieder vor Augen
führte. Diese monotonen und langsamen Tänze, die
dem Rhythmus einer seltsamen Musik folgen, haben
eine ausserordentliche, eine vollkommene Schönheit, die
der griechischen Schönheit gleicht, aber doch ihren be-
sonderen Charakter hat. Durch die Tänzerinnen von
Kambodscha habe ich Bewegungen kennen gelernt, die
ich noch nirgends gefunden hatte, weder in der Bild-
hauerkunst noch in der Natur. So jene Längsbewegung,
die sie hervorbringen, indem sie die Arme ausstrecken,
die Hände umkehren, die Finger spreizen, und die von
einem Ende des Kreuzes, das sie bilden, zum andern
einer langsamen Undulation gleicht, einer Wellen-
bewegung, die sich auch auf die Brust und die Schultern
überträgt und die fortwährend die Kurven ihrer Arme
einander entgegensetzt, indem der eine einen konvexen,

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