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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 49.1898-1899

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Schwindrazheim, Oskar: Führer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7000#0040

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Führer.

3 j. Kaminfries (zu Abb. 33 gehörig).

Hunderte, so tragen sie heute die Etiketten: Neu!
Modern!! Bis auf's Tipselchen wird darin gezeigt,
wie's gemacht werden muß, wenn etwas auf den
Titel: „Modern" Anspruch machen soll. Tin fest-
stehendes Formenlexikon hat sich schnell zusammen-
gefunden, das Aunstgewerbe braucht sich's nur zu
eigen zu machen, um „unter Garantie" aus dein
Gipfel zu stehen, den es auf allen bisherigen Wegen
nicht zu erreichen vermochte: als eine aus der Zeit
und ihrem innersten eigensten Kerzen emporgeblühte,
kräftig eigenlebendige, ächt deutsche Aunst!

Und das geht so schnell! Gerade wie früher
Tiner von heut auf morgen vom Renaissance-Aunst-
gewerblerzumRokokomenschen
werden konnte, so kann er
heute aus einem solchen über
Nacht zu einem waschächten
„Modernen" werden. Blich
wundert, daß noch Niemand
ein Seitenstück zu Büchern,
wie solche in 2% stunden
diese oder jene Sprache fließend
sprechen lehren, auf dem Ge-
biete unseres Aunstgewerbes
verfaßt bezw. gezeichnet hat!

— Nun, es kann ja noch
kommen, hoffen wir das Beste!

Die bisher erreichten Re-
sultate sind ja die besten, die
man nur wünschen kann!

In einem prächtigen Ge-
dicht eines älteren Jahrganges
der Fliegenden Blätter, mit
wunderschönen Illustrationen von Oberländer, in
welchem eine Oper parodistisch geschildert wird,
heißt's, nachdem in furchtbarem Gefecht alle bösen
Menschen besiegt sind und die Tugend triumphirt:
„ob es nun paßt, ist ganz egal,

„kurz, das Ballet erscheint nochmal!"

Gerade so ist's bei vielen „hochmodernen" Tr-
zeugniffen unseres Aunstgewerbes. Ob es nun paßt,
ist ganz egal — ein paar möglichst absonderlich
geschlängelte Linien, möglichst gleich ein paar pa-
rallel nebeneinander, unter dem Borgeben, dainit
Wasserlinien, Gewandfalten, ksaare, Wolken, Pflanzen-
stengel, ja Alaviertöne darzustellen, ein paar mit
irgendwelcher Symbolik zusammenhängende Pflanzen,
möglichst Lilien, Tulpen, Mohn u. dgl., handelt
sich's um Figürliches, eine Jungfrau mit einer
Pflanze in der Hand, einer Arone auf dein Haar,
mit asketisch glattfaltigem Gewand, oder im Gegen-
satz dazu eine ultramoderne pariser Halbweltdame
mit Barrisonsrisur in der
Stellung einer Serpentintän-
zerin, wenn's geht, noch ein
Schwan oder gleich ein paar
dazu (was crstere Jungfrau
dann sofort als mythologische
Persönlichkeit erscheinen läßt)
u. s. w. — dann noch ein
paar Manieräußerlichkeiten
— (Einiges, z. B. Wappen,
möglichst archaistisch gehalten,
Vermeidung aller Schatten,
zwei- oder auch dreifache Um-
risse, ängstlicher Abscheu vor
deutschen Buchstaben, statt
dessen vielmehr lieber möglichst
japanisirende oder amerikani-
sirende verschrobene und zaun-
artig durcheinander gesteckte
Buchstaben unter dem Vor-
— all' das schön
durcheinander gemischt — und ein Möbel, ein Buch-
einband, ein Plakat oder um was es sich handelt,
in „modernem" Stil ist da!

Das ist nämlich das Schönste bei diesem „mo-
dernen Stil" derer, die alle Aeußerlichkeiten der

32. Nachbildung eines antiken Stuhles in ge-
branntem Thon von Bon di, Florenz. Original
(weißer Marmor) in einem römischen Museum.

geben, daß sie so lesbarer wären

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