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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 77.1927

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Esswein, Hermann: Münchens kulturelle Zukunft, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7094#0078

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H. BROXNER.LI E B

Kunst, der Wissenschaft, des Schrifttums widerspiegeln,
verdienen im gleichen Maße Achtung und Förderung,
auch von seiten des Gesinnungs g e g n e r s.

Ich möchte, was ich meine, ganz kurz durch zwei Bei-
spiele veranschaulichen: Der Kunststadt Münchep,
der Fremdenstadt München muß alles an einem kü n s t-
lerisch hochstehenden Theater mit künstlerischem
Spielplan gelegen sein, während uns eine künstlerisch ver-
wahrloste, provinzlerisch langweilige Schaubühne nichts
hilft, einerlei, ob ihr Spielplan vaterländisch oder sonst
nach irgendwelchen an sich hochachtbaren Gesinnungen
eingestellt ist.

So ist auch unserem ehedem blühenden, heute sehr
ernstlich gefährdeten Verlagswesen, diesem gerade in
München sehr beträchtlichen Zweig kultureller Gewerbe-
übung, keineswegs mit einem Gesetz gedient, dessen an
sich gewiß gut gemeinte Absicht, Schutz der Jugend vor
sittlichen Gefahren, sich in ungeschickten oder voreinge-
nommenen Händen leicht zu einer gefährlichen Waffe
gegen das freie Schrifttum und damit gegen unser Ver-
lagswesen wandeln kann. Sie sehen hier einen Fall, der
in aller nur wünschenswerten Deutlichkeit aufzeigt, auf

ES PAAR. KERAMIK

wie viele Zweige des kulturell wertvollen und geschäft-
lich einträglichen Gewerbelebens eine weltanschaulich,
politisch, sittlich gut gemeinte Maßregel verderblich ein-
zuwirken vermag. Unter dem Verbot einer Druckschrift,
das die allgemeine sittliche Lage der Zeit doch ganz ge-
wiß nicht ändert, leiden nicht nur der Autor, der Heraus-
geber und Verleger, sondern letzten Endes auch der
Setzer, Drucker, Binder, der graphische Buchgestalter, der
Illustrator. Diesen allen und der politisch-sittlichen Ab-
sicht des Gesetzes wäre doch durch eine oder besser noch
recht viele Mustersammlungen guter, sittlich hochstehen-
der Jugendschriften entschieden mehr gedient, als durch
ein Gesetz, das der freien Entfaltung unseres heute be-
reits aufs äußerste notleidenden Buchgewerbes nur ab-
träglich sein kann.

Um meine Betrachtung, die sich noch mit manchen
ähnlichen Beispielen stützen ließe, noch einmal eindring-
lich auf unser Thema, auf die kulturelle Wiedergeburt
Münchens anzuwenden: Wir müssen von allen machtpo-
litisch organisierten Welt-und Lebensanschauungen ver-
langen, daß sie alle Gebiete unbefangenen kulturellen
Schaffens von ihren Machtkämpfen freihalten, daß sie ihre

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