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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 77.1927

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Christoffel, Ulrich: Das Problem der Qualität im Kunsthandwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.7094#0147

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ADO L P H VON MAYER H O F E R
T EESERViCE AUS SILBER

körperlicher Durchbildung, eine besondere Läuterung
des Blutes erreicht haben, besitzen in ihren Geräten,
in ihrem Kunsthandwerk eine Logik der Form, die
dem Europäer als undurchdringliche Magie, als rätsel-
hafteste Überwindung der Materie erscheint. Gewisse
Masken, Stoffe, Gefäße primitiver Rassen haben nicht
nur Qualität, sie sind vielmehr die Qualität an sich,
sie sind Kunstgewerbe als absolute, einzige Kunst, als
biologische Eigenschaft der Rasse. In Europa konnte
nur vorübergehend, wenn eine aristokratische Gesell-
schaftsschicht sich bildete, ein Kunsthandwerk von
vergleichbarer Vollendung entstehen. In China, wo
die Zeit mit Jahren, wie bei uns mit Tagen rechnet,
wo ein naturnahes Volk in langanhaltendem Prozeß
alles Sein und Leben ins Geistige filtrierte und alles
Wirkliche bis zur Unwirklichkeit kultivierte und
spiritualisierte, verband sich dem .absoluten Wert der
Form noch der relative des Luxuriösen. Das chine-
sische Porzellan bleibt dem europäischen weit über-
legen, denn der gute Wille zur Nachahmung führt
zu keinen Resultaten, wenn die Voraussetzungen der
Kultur und der Rasse nicht gegeben sind. Das Kunst-
handwerk der Primitiven ist eine Distinktion der Rasse,
das Kunsthandwerk der Europäer mußte meistens
dazu dienen, Mängel der Rasse zu verdecken und aus-
zugleichen.

Europa beneidet heute die Wilden um die bio-

logische Einheit ihres Daseins und um die Form ihres
Lebens. Eine aus der Mischung aller Nationen und
Schichten hervorgegangene proletarische Masse sehnt
sich nach innerer Struktur, möchte wieder „in Form“
sein. Der Sport und das Kunstgewerbe sind die Aus-
drucksformen dieses Verlangens der Masse nach Form.
Möglich, daß das Training der Massen durch Sport
etwas wie ein Formgefühl züchtet, das abstrakte, tech-
nische Formen hervorbringt. Möglich, daß ein euro-
päisches Kunstgewerbe entstehen kann, das in seiner
sozialen Zweckmäßigkeit der Hygienik des Sportes
entspricht, so daß die Massen in den Städten zu ihrem
eigenen Lebensstil gelangen. Glück und Leistungs-
fähigkeit der geformten Massen würden sich intensi-
vieren. Wenn diese Trainierung der Massen zur Form
Erfolg hätte, dann wäre es verhältnismäßig gleich-
gültig, ob diese neue Form der Lebensführung und
damit des Kunsthandwerks sich mit der Form primi-
tiver Rassen vergleichen ließe und ob diese künstlich
gezüchtete Form je in Qualität übergehen könnte.
Die große soziale Tat, die der Werkbund einleitete,
würde sich vollenden und das Leben in Europa würde
mit der Präzision einer Maschine funktionieren und
der Materialverbrauch durch die letzte Abstraktion
der Form auf das Nötigste vermindert. Das Dasein
wäre billig, bequem und behaglich. Wenn der Wille
zur Form, der die Massen heute bewegt, durchdringt


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