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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 79.1929

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Kiener, Hans: Glasgemälde
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https://doi.org/10.11588/diglit.7096#0161
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GLASGEMÄLDE VON HANS KIENER, MÜNCHEN

Heute hat ein größerer Kreis ein stärkeres Verhältnis zum Bauen als vor etwa vierzig Jahren.
Die Mauer, der Pfeiler, der Balken, die Wölbung werden in ihrer Struktur und in ihrem Volumen
heute viel stärker empfunden; im Zusammensein der Bauelemente werden die Richtungsgegen-
sätze, wird das Verhältnis von Füllung und Leere heute ungleich stärker und suggestiver erlebt.
Mit dieser Wiederbesinnung auf das Elementare des Bauens geht zusammen die Freude am
pfleglich und sorgfältig behandelten Fußboden aus Stein oder Holz, an edler Bauplastik, an
kostbarem Mosaik, am handgelchmiedeten Gitter und nicht zuletzt am farbenprächtigen, kost-
baren Glasfenster. Die Tatsache, daß eine Abfolge prächtiger bunter Fenster heute wieder der
vornehmste, ja der einzige Schmuck einer Kirche werden kann, hängt zusammen mit der an
mittelalterliches und religiöses Empfinden überhaupt anknüpfenden metaphysischen Welle, in
deren Anstieg wir heute mitten drin stehen. Dieses, im letzten, religiöse Empfinden ist es, das
heute, in der Erkenntnis der Unzulänglichkeit des eigenen Tuns, bei der Durchbildung der Glas-
fenster auf das allzu Viele und allzu Detaillierte zu verzichten weiß, das weiß, daß die eigent-
liche Wirkung durch das Licht, das von außen hereinfällt, erzeugt wird. In diesem Sinne wird
das Glasfenster, das unter dem Strahl des Lichtes erglüht und seine geheimsten, vorher ganz
unsichtbaren Schönheiten osfenbart, das Symbol der vom Strahl der Gnade getroffenen Seele.
Es liegt im Wesen der Glasmalerei möglichst wenig zu malen, möglichst wenig komplizierte
Innenzeichnungen und Schattierungen zu geben: sondern der Sinn liegt im musivischen Arbeiten,
im Zusammensetzen aus stark farbigen, in der ihnen ursprünglich eigenen Farbe wie Edelsteine
erglühenden Gläsern.
Diese Ehrfurcht vor dem Material des edlen farbigen Glases, dieser Verzicht auf allzustarke
Innenzeichnung, bedingt notwendig den Verzicht auf räumlich-körperliche dreidimensionale
Wirkung. Und damit ist ganz von selbst die kompositionelle Seite der Glasmalerei richtig gelöst.
Die Glasfenster haben die Aufgabe, die großen Fensteröffnungen des Baues gleichmäßig zu
Ichliefien: ihre Wirkung ist notwendig teppichartig, darf nicht die von ins Glas übersetzten
Tafelbildern sein, die in ihrer dreidimensionalen Art die Fläche aufreißen statt sie zu schließen.
Es gibt ein Optimum von gefühltem Kontur, von gefühlten Flächenspannungen, das für das
Glasfenster, unbeschadet seiner flächenhaften Wirkung, noch tragbar ist.
Das 19. Jahrhundert, das lange an dieser Verwechslung laboriert hat, konnte sich übrigens
auf das 16. Jahrhundert berufen, mit dem es auch die Abkehr vom Metaphysischen gemein hatte.
Wie eines sich aus dem anderen notwendig ergibt: die sinngemäße Verwendung des Glases
bedingt die dekorativ richtige teppichartige Wirkung, diese selbst wieder das Befangene, im
ganzen unlösbar verankerte der Einzelform, das seinerseits wieder den metaphysischen Charakter
des Ganzen zur Folge hat.
Die teppichartige Wirkung wird erreicht durch die relative Kleinheit der Scherben. Die
Kleinheit des einzelnen Farbfleckes ermöglicht die Verwendung starker, tiefer, glühender Farben,
ohne den harmonischen Gesamteindruck zu gefährden, wenn anders das allgemein gültige Ge-
setz berücksichtigt ist, daß ein Ton dominieren muß, daß ein Ton reichlich genug vorkommt,
daß alle anderen darin gebettet erscheinen. Die Forderung der äußeren Umrahmung wird er-

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