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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Wer ist Rembrandt
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0222

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE.

Ankündigungsblatt des Verbandes der deutschen Kunstgewerbevereine,

HEKAUSGEBEK:

CARL VON LÜTZOW und ARTHUR PABST

AVIEN

Heugassa 58.

KÖLN
Kaiser- Wilhelmsring 24.

Verlag von E. A. SEEMANN in LEIPZIG, Gartenstr. 15. Berlin: W. H. KÜHL, Jägerstr. 73.

Neue Folge. II. Jahrgang.

1890/91.

Nr. 26. 21. Mai.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur „Zeitschrift für bildende Kunst" und zum „Kunstgewerbeblatt" monatlich dreimal, in den
Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der „Zeit-
schrift für bildende Kunst" erhalten die Kunstchronik gratis. — Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Ver-
lagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Yogier, Rud. Mosse u. s. w. an.

WER IST REMBRANDT?

* Auch die Kunstgeschichte hekommt ihre Sen-
sationslitteratur! Und Rembrandt regiert die Stunde!
Nachdem er sich unter den Händen der mythischen
Verfasser des Erzieherbuchs vom vorigen Jahre zu
einem idealen Stern am großgermanischen Himmel
abgeklärt hatte, zieht ihn jetzt ein Realist mit rauher
Hand in die prosaische Amsterdamer Wirklichkeit
herab und reißt ihm die letzte Hülle künstlerischen
und menschlichen Wertes erbarmungslos vom'Leibe.

Max Lautner heisst der Verfasser eines eben
bei Max Müller (Kerns Verlag) in Breslau erschie-
nenen Buches*), welches auf die an die Spitze seines
Titels gestellte Frage „Wer ist Rembrandt?" die
bündige Antwort erteilt: Er ist weder als Mensch
das, wofür ihn die gegenwärtig herrschende Meinung
hält, noch hat er alle die herrlichen Werke ge-
schaffen, die man ihm zuschreibt! Gerade die
berühmtesten darunter, — wir nennen von den
Gemälden nur die „Anatomie des Dr. Tulp", die
„Staalmeesters" und die „Nachtwache", von den
Radirungen die „Landschaft mit den drei Bäumen"
und das „Hundertguldenblatt", — sind vielmehr
Werke seines großen, viel zu wenig geschätzten
„Schülers" Ferdinand Bol!



*) Wer ist Rembrandt? Grundlagen zu einem Neubau
der holländischen Kunstgeschichte. Mit 7 Tafeln in Photo-
gravüre. VIII u. 470 S. 8. 1891. — Der Autor des Buches
ist ein junger, in Breslau lebender Privatgelehrter, welcher
in Berlin seine Studien absolvirt hat. Zur Vollendung des
Buches hatte er sich der Munifizenz des Oberpriisidenten von
Schlesien, Geh. Raths von Seydewitz, zu erfreuen.

Wir greifen uns verblüfft an den Kopf, wenn
wir diese Behauptungen lesen. „Plumpe Mystifika-
tion", — „Gelehrter Humbug", ruft vielleicht man-
cher. Der Autor des Buches war gefasst auf diese
Dinge. „Ich stand", sagt er (S. 257), „am Anfange
meiner Untersuchungen einem starken, wohlgefügten
und durch die Zeit gleichsam geheiligten Bau der
Kunstwissenschaft gegenüber, an dessen wohlgrup-
pirten einzelnen Quadern zu rütteln als ein toll-
kühnes Unternehmen gelten konnte. Aber man hat
schon an größere Dinge seinen Verstand gewagt
und seine Hand gelegt, als an den durch historische
Tradition überlieferten Autorbegriff eines Künstlers."
Die Erkenntnis des Irrtums zwingt dazu, „einen
Tempel niederzulegen, in welchem nur einem Götzen
geopfert wurde."

Einem „Götzen" zunächst in menschlicher Be-
ziehung. Denn die Nachforschungen der hollän-
dischen Archivgelehrten unserer Zeit haben, wie
Lautner mit Recht betont, aufs unwiderleglichste
dargethan, dass all die bekannten schlimmen Cha-
raktereigenschaften und Lebensmomente, von welchen
die alten Biographen Rembrandts uns erzählen, nicht
nur keine Verleumdungen sind, wie man sich hatte
getrösten wollen, sondern leider hinter der Wahr-
heit noch weit zurückbleiben. Ein derartiger Wider-
spruch zwischen dem Wesen des Künstlers und dem
Geiste seiner Werke, wie man ihn annehmen müsste,
wenn Schöpfungen von so tief ethischer Gesinnung,
wie man sie dem Rembrandt zuschreibt, wirklich
aus der Seele eines so niedrig handelnden Menschen
geflossen wären: ein solcher Widerspruch, sagt Laut-
ner, ist eine psychologische Unmöglichkeit. „Rem-
brandts Leben und Charakter ist der zureichende
 
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