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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Dehio, Georg: Denkmalpflege und Museen: Referat auf dem zwölften Tage für Denkmalpflege und Heimatschutz
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0021

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Denkmalpflege und Museen

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unzertrennliche Kunsthandel. Das andere sind unter
den öffentlichen Museen die mit internationalem Pro-
gramm. In beiden Formen hat das Sammelwesen —
ich bin der letzte, es zu verkennen — der Denkmal-
pflege gelegentlich wichtige Dienste geleistet, aber
ohne es bewußt zu bezwecken; im Prinzip stehen sie
außerhalb der Denkmalpflege, sind oft ihre direkten
Widersacher. Sie schützen nicht, was doch der Denk-
malpflege oberstes Gesetz ist, den historischen Besitz-
stand, das historische Milieu, sondern sie leben von
dessen Unterhöhlung und Zertrümmerung; sonst würden
sie ja überhaupt nicht weiterwachsen können. Ihr
bloßes Dasein schon wirkt wie der Magnetberg der
Sage. Seien wir ehrlich! Was heißt denn das, wenn
wir mit Pathos für unser eigenes Land Denkmal- und
Heimatschutz proklamieren und in gleichem Atem
unsere Sammler loben, die in den Besitzstand fremder
Völker einbrechen und diesen das antun, was wir für
uns verwünschen? Inkonsequenz ist doch wohl nur ein
schwacher Name dafür. Und notwendig hat sie ihre
Folgen. Jeder von ihnen kennt den wilden Kon-
kurrenzkampf im internationalen Kauf- und Sammel-
wesen, durch den das Kunsterbe der Jahrhunderte
immer schneller aus seinem natürlichen Rahmen hin-
ausgedrängt, atomisiert und durcheinandergewürfelt
wird. Ja, wir dürfen uns über ein Ereignis, wie
neulich den Raub der Mona Lisa, gar nicht wundern.
Es mußte unvermeidlich etwas derart kommen. Wir
kennen es aus der politischen Geschichte, daß in
Zeiten heftig aufgestachelter politischer Leidenschaften
plötzlich irgendwo eine Untat, ein Mord herausspringt.
Ebenso ist es hier. Wenn die Verehrung für das
Edelste, weil im gemeinen Sinn Unnützeste im
menschlichen Schaffen, die Verehrung für die
Kunst umschlägt in überhitzte Besitzgier, dann
treten Entartungserscheinungen in allen möglichen
Formen auf. Die alltäglichen kleinen Händlertriks und
der Monalisenraub sind nur Stufen einer und derselben
Leiter. Ob die Entfernung eines Kunstwerks durch
Raub oder durch Kauf vollzogen wird, ist schließlich
nur eine juristische Unterscheidung; für die natio-
nale Denkmalpflege ist es einerlei, Verlast ist Verlust.
Wir in Deutschland fühlten uns dem Ausland gegen-
über lange Zeit in leidlicher Sicherheit; aber doch
nur deshalb, weil deutsche Kunst im Auslände gering-
geschätzt und darum wenig begehrt wurde. Wenn
jetzt der Spieß gelegentlich umgekehrt wird, so dürfen
wir uns nicht wundern. Und schließlich gehört auch
dies zu dem herrschenden System, daß deutsche
Museumsleiter unbehindert, wenn auch unter den
Wehklagen der getroffenen Denkmalpflege, in deut-
schen Landen ihren Rundgang machen und die ihnen
schmackhaft erscheinenden Rosinen aus dem Kuchen
herauspflücken können nach dem Recht des Stärkeren,
d. h. des Zahlungsfähigen.

Ja, es ist nicht anders: bei der engen Verzahnung
des Lebens der europäischen Kulturvölker können die
Wohltaten des Denkmalsschutzes niemals einseitig
genossen werden. Es ist nicht möglich, zu Hause
denkmalpflegerisch tugendhaft zu bleiben, wenn man
draußen mit Glück und Behagen dagegen sündigt.

Der jeweilig lebenden Kunst das Ausland verbieten
zu wollen, wäre ein Unding. Etwas gänzlich anderes
ist es aber mit der alten Kunst. Ihre Werke sind nicht
mehr Kunstwerke allein, sondern Denkmäler! Ein
Volk, das diese nicht zu hüten vermag, das den kri-
stallenen Niederschlag aus dem besten Seelenleben
seiner Vorfahren dem Meistbietenden feil hält — ein
solches Volk erniedrigt und verstümmelt sich selbst.
Ist es anständig, ein anderes Volk dazu zu verführen?
Völker mit einer in der Vergangenheit überquellend
reichen Kunst, wie etwa die Italiener oder Nieder-
länder, können ja einen leichten Aderlaß, ohne es
sehr zu merken, vertragen. Heute aber hat die Jagd
nach fremdem Kunstgut einen Umfang eingenommen,
der schlechthin kulturfeindlich zu werden droht. Es
ist höchste Zeit, daß der historische Kunstbesitz
Europas zur Ruhe gelangt. Dies Interesse ist ein so
überragendes, daß wir auch von unseren öffentlichen
Museen, und gerade von ihnen zuerst, Resignation
verlangen müssen. Sonst kommen wir aus dem cir-
culus vitiosus niemals heraus.

Es ist aber noch ein anderer, im feinsten Wesen
der Kunst selbst wurzelnder Grund vorhanden, wes-
halb ich glauben muß, daß für die Museen, —
wenigstens soweit es die internationale Kunst betrifft —
die hohe Zeit vorüber ist. Sie leisteten ihr bestes
damals, als uns Europa noch groß erschien, als das
Reisen noch schwierig und selten war. Heute gilt
es als eine Wahrheit, der niemand mehr sich entzieht:
»Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters
Lande gehen.« Das ist der Schlüssel zu aller Kunst-
erkenntnis für und für. Museen sind Herbarien. Her-
barien sind nützlich; aber man läßt sie liegen, wenn
man die lebenden Pflanzen sehen kann mitsamt ihren
Nachbarn, ihrer Wurzelerde, ihrer Atmosphäre. Das
natürliche Verhältnis ist doch nicht dieses, daß wir
die Denkmäler zu uns her, sondern daß wir uns zu
ihnen hin bewegen. In diesem Sinne haben die Museen
-— ich spreche immer von denen mit internationalem
Programm — ihre stärksten Antagonisten in den
Eisenbahnen gefunden — und wir werden diesen
nicht gram sein deshalb.

Die Museen sind ebensowohl Folge als Ursache
eines schweren Übels: der Zerreißung des Bandes
zwischen mobiler und monumentaler Kunst. Die
Folge ist, daß die große Masse von der Bedeutung
dieses Bandes nichts mehr weiß. Man will von alter
Kunst wohl Kenntnis nehmen, aber man will es sich
damit bequem machen. Einige Stunden im Museum
zuzubringen, ist sehr viel bequemer, als monumentale
Kunst aufzusuchen. Man hat in wenigen Stunden
eine Menge von Dingen gesehen — hat man auch
ihren künstlerischen Sinn verstanden? Das Publikum
kennt ja auch die Gegenwartskunst fast nur aus der
barbarischen Institution der Ausstellungen, es findet
es ganz natürlich, auch alte Kunst in eben dieser Form
zu sehen. Ja, es sieht es als das ehrenvollste Glück
für ein altes Kunstwerk an, wenn es den Lauf seiner
Schicksale im Hafen eines Museums endet. Vielleicht
reicht diese Meinung weiter nach oben, als wir uns
eingestehen wollen.
 
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