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Denkmalpflege und Museen
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Was bedeutet denn für ein Kunstwerk die Auf-
nahme ins Museum? Zunächst eine sehr gute materielle
Bewahrung und Pflege. Ist aber damit schon alles
gerettet, was seinen Wert ausmacht? Ein Kunstwerk
ist nur technisch eine in sich abgeschlossene Voll-
existenz, geistig hängt es mit hundert Fäden mit der
Umwelt, in der und für die es einst geschaffen war,
zusammen; diese — kann man nicht mit verpflanzen.
Wir sehen im Museum das Kunstwerk schärfer, deut-
licher als an seinem ursprünglichen Ort, aber wir
sehen es nicht richtiger; meist schon nicht mit un-
serem physischen Auge richtiger, nie mit unserem
geistigen; denn es fehlen alle Erreger der so notwendigen
Phantasieassoziationen, es fehlen die unwägbaren Ver-
bindungswerte. Nur wenige Werke von allerstärkster
individueller Potenz behalten wohl überall etwas
Zwingendes, eine sixtinische Madonna macht, wo sie
auch sei, ihre Umgebung vergessen. Aber von wie
vielen Kunstwerken kann man das sagen? Wenn
z. B. aus einem elsässischen Kloster ein Grabstein in
ein norddeutsches Museum geschleppt würde, ein
Grabstein, dessen absoluter Kunstwert nur mäßig ist,
der aber durch die mit ihm verbundenen Erinnerungen
voll Lebens noch ist — was bleibt von ihm übrig?
Ich brauche in dieser Versammlung den Gedanken
nicht weiter auszuführen, denn ich bin sicher, ohne
Widerspruch zu bleiben, wenn ich sage: jede Orts-
entfremdung eines Kunstwerks bedeutet einen Wert-
verlust. Dieselbe wird je nach der Art des Werkes
dem Grade nach sehr verschieden sein; aber etwas
Wertverlust ist immer da. Und oft genug heißt es
ganz einfach:
»Zum Teufel ist der Spiritus,
Das Phlegma ist geblieben«.
Meine Herren! Die hinter uns liegenden zwölf
Tage für Denkmalpflege haben ein deutliches Zeugnis
dafür abgelegt, daß in unseren Anschauungen über
das Verhältnis der jeweiligen Gegenwart zur künstle-
rischen Hinterlassenschaft der Vergangenheit ein tief-
gründiger Wandel sich vollzogen hat. Wir messen
den Wert eines alten Kunstwerkes nicht mehr allein
nach der Höhe des Vergnügens, das uns aus ihm
quillt; wir haben erkannt, daß es außer seinen ästhe-
tischen und außer seinen antiquarischen Eigenschaften
noch andere besitzt; wir fassen sie in das Wort
Denkmal zusammen. Ein einfacher Satz, der aber
sehr weitgehende Konsequenzen hat. Wie stehen
unsere Museen dazu? Sie stehen noch ganz im Bann
der alten Anschauung, die großen, führenden, be-
wunderten am meisten. Sie betrachten noch immer
das ganze Reich der alten Kunst als ein freies Gut,
das jedesmal dem gehört, der den Verstand und die
Energie hat, es in Besitz zu nehmen. Und das Publi-
kum lebt noch immer in der Vorstellung, das Ideal
sei: möglichst viele, gefüllte und glänzende Museen.
Nichts ist bezeichnender, als daß immer in gleichem
Atem
bleibt
gesagt wird: »Museen und Theater«. Hier
noch eine ganz große Aufklärungsarbeit zu tun.
|^ ---um. ganz, giuut rvuiiviai uu^sai ulii tun.
bezug auf die monumentale Kunst haben ja auch
n die weiteren Kreise einigermaßen begriffen,
r es ankommt; in bezug auf die mobile ist ihr
Gewissen noch nicht erwacht und ich kann nicht
anders sagen, die Museen sind mit daran schuld.
Das Publikum muß es einsehen lernen, daß man diese
durch den künstlichen Sammeleifer des 17. und 18.
Jahrhunderts geschaffenen Schatzkammern sehr wohl
über alles kostbar halten kann und doch zugleich an-
erkennen, daß die Grundsätze, aus denen sie hervor-
gingen, nicht mehr die unserigen sein dürfen. Mit
ihrem Glänze zu wetteifern, ist in jedem Sinn ein
falscher Ehrgeiz. Wir haben sie als abgeschlossene
Bildungen anzusehen.
Niemand wird erwarten, daß eine bis an die Wurzel
gehende Reform von einem Tag zum andern sich ver-
wirklichen lasse. Daß sie einmal kommen muß, ist
heute schon die Überzeugung nicht bloß Einzelner.
Soll unser Museumswesen eine neue Entwicklung
erleben, so wird der fundamentale Satz dafür zu lauten
haben: Museen sind nicht Selbstzweck, Aluseen sind
Glieder in dem allgemeinen System der Denkmalpflege.
Sie werden damit alles Zufällige und Willkürliche von
sich abtun. Es wird nicht mehr das Museum zuerst
da sein, und dann in aller Welt umher gespürt werden,
was man Kostbares und Merkwürdiges hineinbringen
könne. Museen werden nicht mehr gemacht werden,
sie werden entstehen; entstehen, wenn ein Inhalt da
ist, der nach ihrem Schutze verlangt. Den naturgemäß
gegebenen Inhalt bringt die örtliche und landschaft-
liche Kunstgeschichte. Die mobile Kunst muß so
nahe als möglich bei der monumentalen, unter deren
Dach sie einmal geboren war, erhalten bleiben. Unsere
Häuser und Rathäuser sind zu einem großen Teil
entleert, purifiziert, aber man soll doch nur ein Haus
weitergehen müssen, um wiederzufinden, was sie einst
schmückte und belebte. Ein Museum soll Individualität
besitzen und zwar diejenige seines Ortes. Die deutsche
Kunstgeschichte ist durchaus partikularistisch verlaufen.
Also werden auch die deutschen Kunstmuseen parti-
kularistisch sein müssen. Wir hatten nie und haben
auch heute nicht eine Kulturhauptstadt, ein Paris.
Das Leben der Gegenwart bringt schon in Genüge
nivellierende Tendenzen mit sich; mindestens das
historische Bild der Mannigfaltigkeit, die einst unser
Leben eigentümlich und reich machte, wollen wir
uns unverrückt und unzerstückt bewahren.
Meine Herren! Ein Redner am zweiten Tage einer
Versammlung tut gut daran, kurz zu sein. Ich habe
mein Thema nur aphoristisch behandeln können.
Doch hoffe ich, daß der innere Zusammenhang meiner
Gedanken Ihnen nicht entgangen sein wird. So darf
ich denn, ohne sie noch weiter vorzubereiten, meine
These hinstellen. Sie kann nur lauten: was wir jetzt
am meisten brauchen, ist Stärkung der Landes- und
Pro vinzialmuseen.
Einschalten und schnell miterledigen möchte ich,
daß natürlich die großen Kommunalmuseen hier mit-
begriffen sind. Dagegen die ganz kleinen, gleichviel
ob in kirchlicher oder weltlicher Hand, bieten uns
keine genügenden Garantien. Auf sachkundige Leitung
kann bei ihnen nur sehr ausnahmsweise gerechnet
werden, auch die äußere Sicherheit läßt oft zu wünschen
übrig, ja es sind bis in die neueste Zeit Beispiele
Denkmalpflege und Museen
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Was bedeutet denn für ein Kunstwerk die Auf-
nahme ins Museum? Zunächst eine sehr gute materielle
Bewahrung und Pflege. Ist aber damit schon alles
gerettet, was seinen Wert ausmacht? Ein Kunstwerk
ist nur technisch eine in sich abgeschlossene Voll-
existenz, geistig hängt es mit hundert Fäden mit der
Umwelt, in der und für die es einst geschaffen war,
zusammen; diese — kann man nicht mit verpflanzen.
Wir sehen im Museum das Kunstwerk schärfer, deut-
licher als an seinem ursprünglichen Ort, aber wir
sehen es nicht richtiger; meist schon nicht mit un-
serem physischen Auge richtiger, nie mit unserem
geistigen; denn es fehlen alle Erreger der so notwendigen
Phantasieassoziationen, es fehlen die unwägbaren Ver-
bindungswerte. Nur wenige Werke von allerstärkster
individueller Potenz behalten wohl überall etwas
Zwingendes, eine sixtinische Madonna macht, wo sie
auch sei, ihre Umgebung vergessen. Aber von wie
vielen Kunstwerken kann man das sagen? Wenn
z. B. aus einem elsässischen Kloster ein Grabstein in
ein norddeutsches Museum geschleppt würde, ein
Grabstein, dessen absoluter Kunstwert nur mäßig ist,
der aber durch die mit ihm verbundenen Erinnerungen
voll Lebens noch ist — was bleibt von ihm übrig?
Ich brauche in dieser Versammlung den Gedanken
nicht weiter auszuführen, denn ich bin sicher, ohne
Widerspruch zu bleiben, wenn ich sage: jede Orts-
entfremdung eines Kunstwerks bedeutet einen Wert-
verlust. Dieselbe wird je nach der Art des Werkes
dem Grade nach sehr verschieden sein; aber etwas
Wertverlust ist immer da. Und oft genug heißt es
ganz einfach:
»Zum Teufel ist der Spiritus,
Das Phlegma ist geblieben«.
Meine Herren! Die hinter uns liegenden zwölf
Tage für Denkmalpflege haben ein deutliches Zeugnis
dafür abgelegt, daß in unseren Anschauungen über
das Verhältnis der jeweiligen Gegenwart zur künstle-
rischen Hinterlassenschaft der Vergangenheit ein tief-
gründiger Wandel sich vollzogen hat. Wir messen
den Wert eines alten Kunstwerkes nicht mehr allein
nach der Höhe des Vergnügens, das uns aus ihm
quillt; wir haben erkannt, daß es außer seinen ästhe-
tischen und außer seinen antiquarischen Eigenschaften
noch andere besitzt; wir fassen sie in das Wort
Denkmal zusammen. Ein einfacher Satz, der aber
sehr weitgehende Konsequenzen hat. Wie stehen
unsere Museen dazu? Sie stehen noch ganz im Bann
der alten Anschauung, die großen, führenden, be-
wunderten am meisten. Sie betrachten noch immer
das ganze Reich der alten Kunst als ein freies Gut,
das jedesmal dem gehört, der den Verstand und die
Energie hat, es in Besitz zu nehmen. Und das Publi-
kum lebt noch immer in der Vorstellung, das Ideal
sei: möglichst viele, gefüllte und glänzende Museen.
Nichts ist bezeichnender, als daß immer in gleichem
Atem
bleibt
gesagt wird: »Museen und Theater«. Hier
noch eine ganz große Aufklärungsarbeit zu tun.
|^ ---um. ganz, giuut rvuiiviai uu^sai ulii tun.
bezug auf die monumentale Kunst haben ja auch
n die weiteren Kreise einigermaßen begriffen,
r es ankommt; in bezug auf die mobile ist ihr
Gewissen noch nicht erwacht und ich kann nicht
anders sagen, die Museen sind mit daran schuld.
Das Publikum muß es einsehen lernen, daß man diese
durch den künstlichen Sammeleifer des 17. und 18.
Jahrhunderts geschaffenen Schatzkammern sehr wohl
über alles kostbar halten kann und doch zugleich an-
erkennen, daß die Grundsätze, aus denen sie hervor-
gingen, nicht mehr die unserigen sein dürfen. Mit
ihrem Glänze zu wetteifern, ist in jedem Sinn ein
falscher Ehrgeiz. Wir haben sie als abgeschlossene
Bildungen anzusehen.
Niemand wird erwarten, daß eine bis an die Wurzel
gehende Reform von einem Tag zum andern sich ver-
wirklichen lasse. Daß sie einmal kommen muß, ist
heute schon die Überzeugung nicht bloß Einzelner.
Soll unser Museumswesen eine neue Entwicklung
erleben, so wird der fundamentale Satz dafür zu lauten
haben: Museen sind nicht Selbstzweck, Aluseen sind
Glieder in dem allgemeinen System der Denkmalpflege.
Sie werden damit alles Zufällige und Willkürliche von
sich abtun. Es wird nicht mehr das Museum zuerst
da sein, und dann in aller Welt umher gespürt werden,
was man Kostbares und Merkwürdiges hineinbringen
könne. Museen werden nicht mehr gemacht werden,
sie werden entstehen; entstehen, wenn ein Inhalt da
ist, der nach ihrem Schutze verlangt. Den naturgemäß
gegebenen Inhalt bringt die örtliche und landschaft-
liche Kunstgeschichte. Die mobile Kunst muß so
nahe als möglich bei der monumentalen, unter deren
Dach sie einmal geboren war, erhalten bleiben. Unsere
Häuser und Rathäuser sind zu einem großen Teil
entleert, purifiziert, aber man soll doch nur ein Haus
weitergehen müssen, um wiederzufinden, was sie einst
schmückte und belebte. Ein Museum soll Individualität
besitzen und zwar diejenige seines Ortes. Die deutsche
Kunstgeschichte ist durchaus partikularistisch verlaufen.
Also werden auch die deutschen Kunstmuseen parti-
kularistisch sein müssen. Wir hatten nie und haben
auch heute nicht eine Kulturhauptstadt, ein Paris.
Das Leben der Gegenwart bringt schon in Genüge
nivellierende Tendenzen mit sich; mindestens das
historische Bild der Mannigfaltigkeit, die einst unser
Leben eigentümlich und reich machte, wollen wir
uns unverrückt und unzerstückt bewahren.
Meine Herren! Ein Redner am zweiten Tage einer
Versammlung tut gut daran, kurz zu sein. Ich habe
mein Thema nur aphoristisch behandeln können.
Doch hoffe ich, daß der innere Zusammenhang meiner
Gedanken Ihnen nicht entgangen sein wird. So darf
ich denn, ohne sie noch weiter vorzubereiten, meine
These hinstellen. Sie kann nur lauten: was wir jetzt
am meisten brauchen, ist Stärkung der Landes- und
Pro vinzialmuseen.
Einschalten und schnell miterledigen möchte ich,
daß natürlich die großen Kommunalmuseen hier mit-
begriffen sind. Dagegen die ganz kleinen, gleichviel
ob in kirchlicher oder weltlicher Hand, bieten uns
keine genügenden Garantien. Auf sachkundige Leitung
kann bei ihnen nur sehr ausnahmsweise gerechnet
werden, auch die äußere Sicherheit läßt oft zu wünschen
übrig, ja es sind bis in die neueste Zeit Beispiele