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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Schumann, Paul: Dresdner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0189

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Dresdner Brief

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ebenso treu wiedergibt, wie in zahlreichen Zeichnungen
die wuchtige Masse der Arbeiter, der drängenden
Boote usw. Auch Leonhard Sandrock-BerVm malt
uns eindringlich den Hafen als Arbeitsstätte, während
Ulrich Hübner mit dem Rostocker Hafen mehr den
farbigen Eindruck ohne einläßliche Formgebung
wiedergibt.

Zu unseren modernen vulkanischen Werkstätten
führen uns eine ganze Reihe von Malern. Natürlich
sind sie ihnen nicht mit dem nüchternen Sinn des
Technikers nähergetreten; was sie reizte, war das
phantastisch Großartige, das den künstlerisch Empfäng-
lichen in Hochofenbetrieben, Gießereien, Walzwerken
usw. packt, die wunderbaren Farbenreize, die sich
hier auftun, das Mächtige der Arbeit, die Feuersglut
und Dampfkraft in ihre Dienste bändigt. Da ist
Carlos Grethes Dampfhammerwerk bei Krupp in
wunderbarem Farbengewoge des dampf- und dunst-
erfüllten Raumes, da von Theodor Hummel der riesen-
hafte Dampfhammer, dessen Wucht von phantastischem
Blau umspielt wird, aus dem die weiße Glut des
glühenden Eisens hervorleuchtet. Auch Erich Kuithan
versucht es, uns die unheimliche Phantastik der Arbeit
in einem Schmelzofenwerk näherzubringen; Fritz
Oßwald schildert mit frischem Temperament eine
niederrheinische Hütte, während der Holländer Heyen-
brock uns das überaus lebendige Bild des Umbaus
in einem Stahlwerk in gedämpfter Farbengebung vor-
führt. Noch stärker, fast bis zum Helldunkel stilisiert
Heinrich Kley seine Farben, indem er die riesigen
Bauten der Friedrich-Alfred-Hütte vor uns hinstellt.
Auf schlagende farbige Gegensätze einzelner Farben-
flecke inmitten eines herrschenden Gesamttons stellt
Theodor Hummel seine Schilderungen aus der Glas-
hütte, und der Brüsseler Pierre Paulus stimmt seine
geschickt gemachten Schilderungen aus dem Borinage
(Mutter und Kind, Rückkehr von der Arbeit, Hoch-
öfen) auf den Ton von Heimatbildern.

Über Gotthardt Kuehl, der auch dem Leben der
Arbeit feine Farbenwerte abzugewinnen weiß, über
die eindringlichen sozialen Schilderungen der Käthe
Kollwitz, über Max Liebermanns Amsterdamer Radie-
rungen ist nichts Neues zu sagen, ebensowenig über
Baluschek, dessen große wirksame Zeichnungen aus
der Folge »Wege der Maschine« mit sachlicher Be-
stimmtheit und malerischer Kraft unser Interesse zu
fesseln wissen, und über den Dresdener Robert Sterl,
der uns in einem sonnenlichtsprühenden Gemälde den
Rhythmus wuchtiger Sandsteinbrecherarbeit näher zu
bringen weiß und in großzügigen Lithographien und
Zeichnungen allerlei kraftvolle Männertätigkeit wirksam
schildert. Nennen wir wenigstens noch die jüngeren
Berliner Paul Päschke und Franz Heckendorf, die
den großen Berliner Bauten — Museum, Untergrund-
bahn, Flugbahn in Johannisthal — elementar wirkende
kraftvolle Bilder abzugewinnen wissen, sowie Emil
Nolde, der in seinem Gemälde Vom Hafen Hamburg
die merkwürdige Vision eines knallroten Pferdes fest-
hält, in seinen Radierungen aber zum Teil Hervor-
ragendes bietet.

Unter den zahlreichen Griffelblättern, die der

Katalog verzeichnet und die nur zum Teil ausgestellt
sind, fallen besonders die umfänglichen Sammlungen
der beiden Engländer Pennell und Brangwyn in die
Augen. Beide sind geschickt und interessant, Brangwyn
ist aber jedenfalls der stärkere, denn während Pennell
die großen Erscheinungen der Industrie mit Whistler-
scher Feinheit verzierlicht, gibt Brangwyn in seinen
Lithographien und Radierungen stark malerisch wir-
kende Bilder mit kräftigen Gegensätzen von Licht
und Schatten, die nicht ohne monumentale Kraft sind.

Unter den übrigen zahlreichen Sonderausstellungen,
die wir in den letzten Monaten in den hiesigen Kunst-
salons sahen, ist besonders bemerkenswert die von
Richard Dreher; dieser junge Dresdner Künstler hat
sich im wesentlichen als Selbstlerner und von van
Gogh beeinflußt zu reifer Selbständigkeit entwickelt,
so daß er jetzt als ein Meister von hervorragender
Eigenart bezeichnet werden muß. Alfred Lichtwark
hat seine Stärke schon früher erkannt, so daß er im
Vorjahr drei von seinen damaligen Gemälden für die
Hamburger Kunsthalle ankaufte. In der diesjährigen
Ausstellung von 16 Landschaften, Hafenbildern, Bild-
nissen und Stilleben wurde ihm die besondere An-
erkennung, daß ihm drei Dresdner Kunstkenner — der
Direktor des Kgl. Kupferstichkabinetts Geh. Regierungs-
rat Max Lehrs, Walter Hofmann und Richard Stiller —
einen Sonderdruck widmeten, worin sie Drehers Ent-
wickelung und sein gegenwärtiges Können mit Worten
warmer Begeisterung preisen: »Die wohlerwogene
Auswahl dieser Bilder«, so schreibt Max Lehrs, »um-
fängt den Beschauer mit einer sanften, einschmeicheln-
den Farbenharmonie, einem friedvollen Zauber, der
wie verklärend alle vom Künstler empfangenen Natur-
eindrücke umstrahlt und das Alltägliche zu höheren
Sphären persönlichen Erlebens emporhebt.« Und
Walter Hof mann schreibt: »Das Unbegreifliche und
das Unendliche, das in jedem Augenblick in der Welt
ist, das ist das eigentliche Thema aller dieser Land-
schaften. Ganz voll und rein, nur weicher, gelöster,
lyrischer als in dem Bilde Hafen von Hornbaek klingt
es auch in dem Blick auf Villingebaek auf, vom
malerischen Standpunkte eins der reifsten und sicher-
sten Bilder des Künstlers. Obwohl die Sonne hoch
steht und ein heißer Sommertag den ,Gegenstand'
des Bildes bildet, ist's wie ein Ewigkeitsfrühling und
ein Gottesmorgen in dem Bilde. In den Häusern,
die da am Strande stehen, werden niemals wieder
Menschen wohnen, auf dem Meere, das sich dunkel
und blau ausdehnt, werden nie wieder Schiffe fahren.
Aber süß, herzbeklemmend und herzerlösend, in die-
sem mildklaren Lichte und in der erhabenen Stille,
von der Erde zum Himmel und von der Nähe zur
Ferne weht der Stern des Unaussprechlichen — des
Unendlichen, des Unbegreiflichen« . . .

Diese überschwenglichen Worte eines begeisterten
Anhängers Drehers mögen einen Begriff von der
»traumhaften Stimmung persönlichen Erlebens« geben,
die in der Tat aus seinen Bildern spricht. Dreher
darf sich freuen, von vornherein so erkannt und an-
erkannt worden zu sein. Der Erfolg ist nicht aus-
geblieben: ein halbes Dutzend seiner Gemälde sind
 
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