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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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569

Ausstellungen

570

minoischen Periode bis zu der spätesten die Kontinuität
niemals unterbrochen war. Ebenso ist es mit der Kontinuität
der mykenischen Zivilisation in Griechenland beschaffen,
die in ihren Ursprüngen eine rein minoische Schöpfung
war. Die Wandgemälde haben uns zuletzt lebendige Dar-
stellungen der physischen Natur jener Rasse geboten, welche
sich durchweg unverändert erhielt und in absolutem Gegen-
satz zu irgend einem Typus nordischer Einwanderer stand.
Es sind namentlich die Entdeckungen der deutschen Ar-
chäologen, welche zu Tiryns eine ganze Reihe mykenischer
Wandgemälde gefunden haben, deren Membra disjecta
neuerdings von Rodenwald in den Athenischen Mitteilungen
in ihrer Zusammensetzung vorläufig veröffentlicht worden
sind, an denen man diesen alten ägäischen Typus durch
die Zeitläufte der früheren und der späteren Paläste ver-
folgen kann. Er unterscheidet sich in nichts von dem Typus
der Bewohner von Mykene. Bis zur Beendigung der
mykenischen Herrschaft im 12. Jahrhundert v. Chr. war
kein Platz für eine unabhängige griechische Bevölkerung; aber
es kann der Einfluß dieser früheren Zivilisation auf die
Griechenheit kaum hoch genug eingeschätzt werden. In der
religiösen Kunst leben auffällige Darstellungen fort; die
neuentdeckten Giebelskulpturen des frühdorischen Tempels
in Korfu geben dafür ein interessantes Beispiel. Die Mittel-
figur mit den Paralleltieren (s. darüber A. Jolles im Archäologi-
schen Jahrbuch 1904 »Die Antithetische Gruppe«) waren
einfach eine Übernahme mykenischen Arrangements. Ein
in Delphi gefundenes Spendegefäß in Form des Hauptes
einer Löwin, das den Gefässen aus dem Palastschrein von
Knosos ähnlich ist, gibt den Beweis, daß der Beginn der
religiösen Kulte auch in Delphi in die minoische Zeit zu-
rückgeht. Noch merkwürdiger sind Beispiele der Fortdauer
alter religiöser Elemente in Kreta selbst, wo der Kult des
kretischenZeus erst in Christus dem Herrn sein Ende gefunden
hat. Die intensive Absorbierung minoischer Elemente ist
zweifellos dadurch erleichtert worden, daß Griechen mit dem
alten Bevölkerungsstock durch beträchtliche Perioden hin-
durch zusammenlebten und daß daraus auch bilingue Sprach-
verhältnisse entstanden sind. Es ist ganz wahrscheinlich, daß
die ältesten arkadischen Griechen im Peloponnes in einer
Art Untertanenverhältnis lebten und zwar schon während
einer langen Periode mykenischer Herrschaft. Als dann
nach dem Verfall der mykenischen Herrschaft die Arkadier,
welche Lakonien besetzt hatten, ungefähr im 11. Jahrhundert
v. Chr. eine Kolonie nach Cypern sandten, finden wir sie
durch und durch von der alten minoischen Religion durch-
drungen und den Kult der Taubengöttin mit sich führend.
Allein dieser Umstand läßt auf langdauernde verflossene
Einflüsse schließen. — Die homerischen Dichtungen gehörten
in eine Zeit, als das Eisen schon die Bronze auch zum
Schneiden zu ersetzen begann. Mykene selbst war damals
längst über den Haufen geworfen und seine Zivilisation
vergangen. Wie kommt es nun, daß wir in den home-
rischen Dichtungen Spuren einer Bekanntschaft mit den
Höfen und Palästen mykenischer Dynasten und mit den
Meisterwerken der minoischen Kunst finden? Sir Arthur
Evans ist der Ansicht, daß die Erklärung in den, dem home-
rischen Zeitalter vorausgegangenen zweisprachigen Verhält-
nissen lag. Die Traditionen eines früheren Epos, von dem
in minoischen Malereien und Reliefs Illustrationen zu finden
sind, sind, wenigstens zum Teil, in übersetzter Form über-
nommen worden und zu Ehren und zum Ruhm derachäischen
Rasse zurecht gemacht. Die Persönlichkeit Homers ist,
wenn man sein Werk von diesem Standpunkt aus betrachtet,
nur noch höher eingeschätzt. Evans zeigte, daß gewisse
epische Passagen und Zwischenfälle im homerischen Epos
schon fünf Jahrhunderte vor Homer durch minoische
Künstler illustriert worden sind. Eine Art Antizipierung

der Episode von der ein Schiff angreifenden Skylla ist schon
im 16. Jahrhundert v. Chr. von minoischen Künstlern dar-
gestellt. Ganz abgesehen von dem direkten Weiterleben
minoischer und mykenischer Elemente in der hellenischen
Kultur sind auch noch Spuren eines Wiederauflebens vor-
hellenischer Kunst zu erkennen, ähnlich dem Wiederauf-
leben antiker Elemente in der italienischen Renaissance.
Eine Reihe frühgriechischer Münztypen, vorzugsweise die-
jenigen von Eretria, scheinen direkt von minoischen Oemmen
übernommen zu sein; und die Typen eines Elfenbeinsiegels
aus der Zeit von ungefähr 400 v. Chr., das im westlichen
Kreta gefunden worden ist, ist vollständig Entlehnung des
Siegels einer minoischen Persönlichkeit, so daß es Kostüm
und Waffen trägt, wie sie 1000 Jahre früher üblich gewesen
waren. m.

AUSSTELLUNGEN
Die Sammlung M. von Nemes in Düsseldorf. Die

Rheinprovinz bietet in diesem Sommer dem Kunstfreunde
zwei große Veranstaltungen nicht alltäglicher Art, die be-
reits in der »Zeitschrift für bildende Kunst« besprochene
»Internationale« des Sonderbundes in Köln und die Aus-
stellung der Gemäldegalerie Marczell von Nemes in der
Düsseldorfer Städtischen Kunsthalle. Beide Ausstellungen
erfreuen sich starken Besuches von auswärts, beide geben
auch der lokalen Kunstpflege Anregungen kräftigster Art.
Es ist kein Geheimnis, daß die beiden einflußreichen
Städte Köln und Düsseldorf in ihrer städtischen Politik,
besonders in Verkehrsfragen, gelegentlich aneinander
geraten, aber eine Konkurrenz in der öffentlichen Kunst-
pflege kann nur als gesund und hoffnungsvoll bezeichnet
werden. Es ist wahrlich nicht einzusehen, warum aus
Anlaß der Gleichzeitigkeit beider Veranstaltungen Betrach-
tungen veröffentlicht wurden, die lediglich geeignet schienen,
nun einmal bestehende Interessengegensätze zu verschärfen.
Der rheinische Westen ist denn doch volksreich und blühend
genug, um auf eine einzige Kunstzentrale, wie sie Düssel-
dorf übrigens, besonders infolge der auch dort als unglück-
lich erkannten Galerieverhältnisse, schon lange nicht mehr
ist, zu verzichten. Auch wenn Düsseldorf jetzt einen
mächtigen Schritt vorwärts tut, brauchen Köln, Krefeld,
Elberfeld, Barmen und die übrigen rheinischen Städte, die
sich eines entwickelten Kunstlebens erfreuen, nicht auf
ihren Lorbeeren auszuruhen, sondern gerade in ehrlicher
Rivalität werden sie auch künftig unter Führung ihrer
Museumsverwaltungen ihre Sonderstellung sich bewahren.

Ob kunstpolitisch die Eröffnung der neuen Düssel-
dorfer Ära gerade mit Greco, Manet, Cezanne vorteilhaft
erscheint, ist eine Frage für sich. Der Sonderbund ist ja
auf diesem Gebiete vorangegangen, ohne Anschluß an
lokale Tradition, da ihm neben dem Düsseldorfer doch auch
andere Interessen wertvoll genug dünkten, um den kühnen
Sprung von Christian Kröner und Oswald Achenbach zu
den modernsten Franzosen zu wagen.

Diese Fragen sind für den Kunstgenießer, der jetzt in
den früher in der Planlosigkeit der Sammlungen so un-
erfreulich wirkenden, nunmehr aber auf das Geschmack-
vollste hergerichteten oberen Räumen der Kunsthalle die
Fülle vortrefflicher Gemälde der Nemes-Sammlung auf sich
wirken läßt, natürlich ganz nebensächlich. Er wird Herrn
von Nemes aufrichtig dankbar sein, daß er auch dem
westlichen Deutschland, wie früher dem südlichen, den
Mitgenuß an seinen klug zusammengestellten Schätzen
gönnt. Der Vergleich mit der Münchner Ausstellung in
der Alten Pinakothek, einer der letzten Großtaten Hugo
von Tschudis, drängt sich naturgemäß auf. Er fällt nicht
durchaus zugunsten der viel reichhaltigeren rheinischen
Ausstellung aus. Gibt sich hier das Werk des begeisterten
 
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