Kunstgescliiclitliclie Anzeigen.
Beiblatt der „Mittheilnngen des Instituts
für österreichische Geschichtsforschung“
Redigirt von Franz Wickhoff.
Jahrgang 1904. Nr. 1.
Inhalt: An die Leser. —- Karl Justi, Michelangelo (Franz Wickhoff). —
Henry Thode, Michelangelo (Wolfgang Kailab). — August Schmar-
sow, Die oberrhein. Malerei (Max Dvorak). — Bernhard B er enson,
The drawings of the Florentine Paintres. — The study and criticism,
of Italian art. — Lorenzo Lotto (Franz Wickhoff). — Adolph Gold-
schmidt, Studien zur Geschichte der sächs. Skulptur (Max Dvorak).
An die Leser!
Aus dem Institute für österreichische Geschichtsforschung ist eine
Reihe von Kunsthistorikern hervorgegangen, die miteinander beständig in
wissenschaftlicher und persönlicher Beziehung blieben. Was sie bei ihren
Arbeiten beabsichtigen, sie mögen sich auf noch so verschiedenen Gebieten
des Faches bewegen, ist, durch wissenschaftliche Behandlung der Themen
die Kunstgeschichte in die Reihe der übrigen historischen Wissenschaften
einzuordnen. Denn das ist noch keineswegs geschehen. Überall kann man
sehen, dass trotz vieler wissenschaftlicher Leistungen die Kunstgeschichte
von gelehrten Gesellschaften und von Fachgenossen auf den nahestehenden
Gebieten der Geschichte und der Sprachwissenschaften nicht als voll ange-
sehen wird. Man muss zugestehen, das geschieht nicht mit Unrecht, denn nur
in wenigen Fächern ist es wie in der Kunstgeschichte noch möglich, dass un-
gerügt sich breiter Wortschwall und seichter Unverstand Geltung verschaffen
können, und dass Arbeiten veröffentlicht und geduldet werden, welche geradezu
als ein Hohn gegen alle Prinzipien der wissenschaftlichen Methode aufgefasst
werden müssen. Dieser Umstand zeigt besser als alles, dass die Orien-
tirung fehlt, dass kein Weg durch das Wirrsal der kunsthistorischen Lite-
ratur führt, weil eine wissenschaftliche Berichterstattung fehlt, die Spreu
vom Weizen sonderte. Was an Anzeigen dieser Art jetzt hervortritt, kann
man mit geringen Ausnahmen als Gelegenheits- oder Gefälligkeitsbespre-
chungen bezeichnen. Den genannten Freunden scheint es ein Bedürfnis,
wenigstens zu versuchen, ob sich hier nicht Abhilfe schaffen liesse. Sie
wollen die kunstgeschichtliche Forschung mit Anzeigen regelmässig begleiten
und die ernsten Arbeiten von den andern sondern. Es sollen nicht nur
Bücher, sondern auch Zeitschriften, selbst einzelne Artikel besprochen wer-
den, insoferne sie die Wissenschaft fördern oder auch bedrohen. Für die
ersten beiden Jahre soll auch auf das letzte Lustrum zurückgegriffen
werden. Sie wollen ihre Betrachtungen auf das Mittelalter und die neuere
Kunst einschränken, es soll nur die antike Kunst und die ihr vorhergehen-
den Perioden und die lebende Kunst unserer Tage, die noch kein Gegen-
stand der Geschichte sein kann, ausgeschlossen sein, dafür wollen sie aber
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Beiblatt der „Mittheilnngen des Instituts
für österreichische Geschichtsforschung“
Redigirt von Franz Wickhoff.
Jahrgang 1904. Nr. 1.
Inhalt: An die Leser. —- Karl Justi, Michelangelo (Franz Wickhoff). —
Henry Thode, Michelangelo (Wolfgang Kailab). — August Schmar-
sow, Die oberrhein. Malerei (Max Dvorak). — Bernhard B er enson,
The drawings of the Florentine Paintres. — The study and criticism,
of Italian art. — Lorenzo Lotto (Franz Wickhoff). — Adolph Gold-
schmidt, Studien zur Geschichte der sächs. Skulptur (Max Dvorak).
An die Leser!
Aus dem Institute für österreichische Geschichtsforschung ist eine
Reihe von Kunsthistorikern hervorgegangen, die miteinander beständig in
wissenschaftlicher und persönlicher Beziehung blieben. Was sie bei ihren
Arbeiten beabsichtigen, sie mögen sich auf noch so verschiedenen Gebieten
des Faches bewegen, ist, durch wissenschaftliche Behandlung der Themen
die Kunstgeschichte in die Reihe der übrigen historischen Wissenschaften
einzuordnen. Denn das ist noch keineswegs geschehen. Überall kann man
sehen, dass trotz vieler wissenschaftlicher Leistungen die Kunstgeschichte
von gelehrten Gesellschaften und von Fachgenossen auf den nahestehenden
Gebieten der Geschichte und der Sprachwissenschaften nicht als voll ange-
sehen wird. Man muss zugestehen, das geschieht nicht mit Unrecht, denn nur
in wenigen Fächern ist es wie in der Kunstgeschichte noch möglich, dass un-
gerügt sich breiter Wortschwall und seichter Unverstand Geltung verschaffen
können, und dass Arbeiten veröffentlicht und geduldet werden, welche geradezu
als ein Hohn gegen alle Prinzipien der wissenschaftlichen Methode aufgefasst
werden müssen. Dieser Umstand zeigt besser als alles, dass die Orien-
tirung fehlt, dass kein Weg durch das Wirrsal der kunsthistorischen Lite-
ratur führt, weil eine wissenschaftliche Berichterstattung fehlt, die Spreu
vom Weizen sonderte. Was an Anzeigen dieser Art jetzt hervortritt, kann
man mit geringen Ausnahmen als Gelegenheits- oder Gefälligkeitsbespre-
chungen bezeichnen. Den genannten Freunden scheint es ein Bedürfnis,
wenigstens zu versuchen, ob sich hier nicht Abhilfe schaffen liesse. Sie
wollen die kunstgeschichtliche Forschung mit Anzeigen regelmässig begleiten
und die ernsten Arbeiten von den andern sondern. Es sollen nicht nur
Bücher, sondern auch Zeitschriften, selbst einzelne Artikel besprochen wer-
den, insoferne sie die Wissenschaft fördern oder auch bedrohen. Für die
ersten beiden Jahre soll auch auf das letzte Lustrum zurückgegriffen
werden. Sie wollen ihre Betrachtungen auf das Mittelalter und die neuere
Kunst einschränken, es soll nur die antike Kunst und die ihr vorhergehen-
den Perioden und die lebende Kunst unserer Tage, die noch kein Gegen-
stand der Geschichte sein kann, ausgeschlossen sein, dafür wollen sie aber
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