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architektonische Anlage des Tabernakels als sein plastischer Schmuck wurde
durch Reminiszenzen an antike Triumphbögen bestimmt. An diese er-
innert der ganze schwere Aufbau des Schreines, die neben der Türöffnung
vorspringenden Pilaster, die Gliederung der Base, die Puttos, die unten
eine Scheibe tragen und sich auf dem die Türe bekränzenden Giebel ge-
lagert haben — auf den Triumphbogen sind es Victorien — besonders aber
an den Konstantinsbogen, die schwere breite reliefgeschmückte Attika mit
den auf Konsolen vorgestellten Figuren von Putten, die sogar im Stand-
motiv an die Barbaren des Konstantinsbogens erinnern. Dieses Motiv wird
auch unten vor den Pilastern angebracht. In demselben Jahre als Dona-
tello dieses Werk schuf, hatte er den Festapparat beim Einzug Kaiser
Sigismunds zu leiten und vielleicht dabei einen Triumphbogen zu errichten
(Meyer 64)-
Dieselbe Anordnung, welche Donatello bei dem Tabernakel in St. Peter
noch nach den römischen Vorbildern architektonisch verwendet, benützt er
in den paduanischen Reliefs, als ein plastisches Mittel zur Erhöhung der
Raumillusion. Auch da sind den architektonischen Gliedern der Dargestel-
lung, welche bis an den Rand des dargestellten Raumes gehen, noch Figuren
vorgestellt, wodurch in dem Relief besonders zwingend der Eindruck der
Räumlichkeit und Vertiefung erweckt wird. Dieselbe Art der Raumvertiefung
durch auf den Rand gestellte und aus der Bildfläche vorspringende Figuren
oder durch einzelne der architektonischen Einteilung des Bildes vorgesetzten
Gestalten finden wir jedoch bei Tizian, Tintoretto und Paolo Veronese. Während
man sich im Norden abmühte, das Raumproblem im Bilde durch die Aus-
gestaltung des Mittelplanes zu lösen, wurde in Italien dadurch, dass im
XV. Jahrhundert ein Bildhauer die Führung in der Kunst hatte, die der
antiken Plastik entnommene Lösung in die Malerei neu eingeführt und
weiter ausgebildet. Nicht nur Michelangelo, auch Tizian wäre ohne Dona-
tello nicht möglich gewesen — doch Michelangelo und Tizian bedeuten
das Schicksal der ganzen folgenden bildenden Kunst in Italien.
Wien. Max Dvorak.
H. Spitzer: Hermann Hettners kunstphilosophische Anfänge und
Literarästhetik. (Untersuchungen zur Theorie und Geschichte der
Ästhetik, erster Band). Graz, Leuschner und Lubenskys Universitäts-
buchhandlung 1903. XVII und 506 S.
Hermann Hettner ist uns als einer der geistreichsten Vertreter jener
Gelehrtengeneration wert, die von der spekulativen Philosophie der ersten
Hälfte des XIX. Jahrhunderts unbefriedigt, sich den historischen Einzel-
wissenschaften zuwandte und doch dank ihrer allseitigen sowohl philo-
sophischen als literarischen und historischen Bildung in der Detail-
forschung nicht aufging, sondern ihr neue Gesichtspunkte und hohe Ziele
zu weisen wusste. Hettner war von Beruf Archäologe und ist als Direktor
der kgl. Antikensammlungen in Dresden, deren Katalog er veröffentlicht
hatte, gestorben. Seine besten Leistungen liegen auf dem Gebiete der
Literaturgeschichte; doch hat er ein lebhaftes Interesse für die bildenden
architektonische Anlage des Tabernakels als sein plastischer Schmuck wurde
durch Reminiszenzen an antike Triumphbögen bestimmt. An diese er-
innert der ganze schwere Aufbau des Schreines, die neben der Türöffnung
vorspringenden Pilaster, die Gliederung der Base, die Puttos, die unten
eine Scheibe tragen und sich auf dem die Türe bekränzenden Giebel ge-
lagert haben — auf den Triumphbogen sind es Victorien — besonders aber
an den Konstantinsbogen, die schwere breite reliefgeschmückte Attika mit
den auf Konsolen vorgestellten Figuren von Putten, die sogar im Stand-
motiv an die Barbaren des Konstantinsbogens erinnern. Dieses Motiv wird
auch unten vor den Pilastern angebracht. In demselben Jahre als Dona-
tello dieses Werk schuf, hatte er den Festapparat beim Einzug Kaiser
Sigismunds zu leiten und vielleicht dabei einen Triumphbogen zu errichten
(Meyer 64)-
Dieselbe Anordnung, welche Donatello bei dem Tabernakel in St. Peter
noch nach den römischen Vorbildern architektonisch verwendet, benützt er
in den paduanischen Reliefs, als ein plastisches Mittel zur Erhöhung der
Raumillusion. Auch da sind den architektonischen Gliedern der Dargestel-
lung, welche bis an den Rand des dargestellten Raumes gehen, noch Figuren
vorgestellt, wodurch in dem Relief besonders zwingend der Eindruck der
Räumlichkeit und Vertiefung erweckt wird. Dieselbe Art der Raumvertiefung
durch auf den Rand gestellte und aus der Bildfläche vorspringende Figuren
oder durch einzelne der architektonischen Einteilung des Bildes vorgesetzten
Gestalten finden wir jedoch bei Tizian, Tintoretto und Paolo Veronese. Während
man sich im Norden abmühte, das Raumproblem im Bilde durch die Aus-
gestaltung des Mittelplanes zu lösen, wurde in Italien dadurch, dass im
XV. Jahrhundert ein Bildhauer die Führung in der Kunst hatte, die der
antiken Plastik entnommene Lösung in die Malerei neu eingeführt und
weiter ausgebildet. Nicht nur Michelangelo, auch Tizian wäre ohne Dona-
tello nicht möglich gewesen — doch Michelangelo und Tizian bedeuten
das Schicksal der ganzen folgenden bildenden Kunst in Italien.
Wien. Max Dvorak.
H. Spitzer: Hermann Hettners kunstphilosophische Anfänge und
Literarästhetik. (Untersuchungen zur Theorie und Geschichte der
Ästhetik, erster Band). Graz, Leuschner und Lubenskys Universitäts-
buchhandlung 1903. XVII und 506 S.
Hermann Hettner ist uns als einer der geistreichsten Vertreter jener
Gelehrtengeneration wert, die von der spekulativen Philosophie der ersten
Hälfte des XIX. Jahrhunderts unbefriedigt, sich den historischen Einzel-
wissenschaften zuwandte und doch dank ihrer allseitigen sowohl philo-
sophischen als literarischen und historischen Bildung in der Detail-
forschung nicht aufging, sondern ihr neue Gesichtspunkte und hohe Ziele
zu weisen wusste. Hettner war von Beruf Archäologe und ist als Direktor
der kgl. Antikensammlungen in Dresden, deren Katalog er veröffentlicht
hatte, gestorben. Seine besten Leistungen liegen auf dem Gebiete der
Literaturgeschichte; doch hat er ein lebhaftes Interesse für die bildenden