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Universität Wien / Institut für Österreichische Geschichtsforschung [Hrsg.]
Kunstgeschichtliche Anzeigen — 1.1904

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Dvořák, Max: [Rezension von: C. Hasse, Rogier von Brügge, der Meister von Flemalle. Zur Kunstgeschichte des Auslandes]
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https://doi.org/10.11588/diglit.51382#0078

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lebte dieser Künstler in seiner Vaterstadt Tournai, seit dem Jahre 1436
war er Stadtmaler von Brüssel. Doch in den Jahren 1432—1436 war
Rogier van der Weiden bereits ein fertiger Meister und so müsse sich die
Nachricht Vasaris auf einen anderen Rogier, eben auf Rogier von Brügge
beziehen.
Auf wie schwachen Füssen diese Beweisführung geht, muss wohl
nicht erst hervorgehoben werden. Für Vasari ist Jan van Eyck der Be-
gründer der neuen niederländischen Malerei und so bezeichnet er alle seine
Zeitgenossen oder Nachfolger als seine Schüler, bis zu einem gewissen
Grade gewiss nicht mit Unrecht. Denn wie in Italien im XIV. Jahrh. die
ganze italienische Malerei unter dem Einflüsse Giottos, so steht in den
Niederlanden um die Mitte des XV. Jahrh. die ganze malerische Produktion
unter dem mittelbaren oder unmittelbaren Einflüsse des grossen Brügger
Meisters. Wer gewohnt ist, historische Quellen nicht nur nach ihrem
Wortlaute, sondern auch kritisch zu benützen, dem wird es nie einfallen,
aus den beiläufigen Nachrichten des nur vom Hörensagen unterrichteten
Florentiners weitgehende Schlüsse zu ziehen und die erwähnte Angabe als
einen vollen Beweis für die Existenz eines andern Rogier zu betrachten,
umso mehi- als Vasari selbst in der zweiten Auflage seines Werkes die-
selbe Angabe ausdrücklich auf Rogier van der Weiden bezieht.
Doch weit ärger ist noch das, was folgt. Hasse behauptet nämlich,
dass nur die sieben Sakramente in Antwerpen, das Altarwerk aus Cam-
brai in Madrid, der Gekreuzigte aus der Karthause zu Brüssel im Escurial
und die Kreuzigung (vom Meister, von Flemalle) in Berlin als Werke
Rogiers van der Weiden zu betrachten sind, während die meisten übrigen
Bilder, die ihm bisher zugeschrieben wurden, wie z. B. die berühmte
Kreuzabnahme aus Löwen in der Antisagrestia des Escurial, der Middel-
burger Altar, das Altarwerk aus Miraflores, das jüngste Gericht zu Beaune,
der Johannesaltar in Berlin von einem andern Rogier gemalt wurden, der
ein Schüler des Jan van Eyck gewesen ist und in Brügge lebte und der
auch der Autor der meisten Bilder ist, welche von Tschudi als Werke des
Meisters von Flemalle bezeichnet wurden. Die Beweisführung Hasses für
diese sonderbaren Aufstellungen, die kaum möglich gewesen wären, als
die Photographie noch nicht erfunden war, erinnert an das Verfahren jenes
Archäologen, der auf Zetteln verschiedene Statuen mit denselben Worten
beschrieben hat und als die Beschreibungen übereinstimmten, die beschrie-
benen Bildwerke für Werke eines und desselben Meisters erklärte. Nur hand-
habt Hasse in ähnlicher Weise die Worte auch für die Unterscheidungs-
merkmale. Wer nicht einsieht, dass Werke wie die Kreuzabnahme im Es-
curial nicht von einem Schüler Jan van Eycks sein können, und dass die
Werke, die Hasse als die des Rogier aus Tournai bezeichnet und jene, die
von Rogier aus Brügge sein sollen, nicht verschiedenen Schulen angehören,
sondern zum mindesten durch einen engen Schulzusammenhang verbunden sind,
mit dem ist über Fragen der Bilderbestimmung nicht zu reden. Man
könnte vielleicht einwenden, dass das alles gleichgiltig sei, da ein solches
Drunter und Drüber kaum von jemandem ernst genommen werden dürfte,
aber erstens ist es nicht wahr, da nichts genug konfus ist, dass sich nicht
doch Leute fänden, die sich zumindestens an der Richtigkeit der bisher
gewonnenen Resultate beirren lassen, zweitens diskreditirt es die Kunst-
 
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