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Universität Wien / Institut für Österreichische Geschichtsforschung [Hrsg.]
Kunstgeschichtliche Anzeigen — 1.1904

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Wickhoff, Franz: [Rezension von: Julius Lange, Die menschliche Gestalt in der Geschichte der Kunst von der zweiten Blütezeit der griechischen Kunst bis zum 19. Jahrhundert]
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https://doi.org/10.11588/diglit.51382#0080

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gang vom Naturalismus zum Impressionismus bewirken. Den Hauptein-
schnitt bildet für Lange die Rezeption der Bilderfeindschaft des Judentums
durch die Christen. Er ist aber gar zu wenig mit der Religionsgeschichte
Israels vertraut, so dass ihm der Ursprung der Bilderfeindschaft entgeht.
Ihren politischen Grund, der darauf beruht, dass sich der Kultus des in
phönikischer Art bildlosen Hoftempels in Jerusalem gegen den Kultus der
Höhen mit ihren Bildwerken und Säulen durchsetzt, hat er nicht erkannt.
Er nennt die Richtung, die sich gegen die bildliche Darstellung der mensch-
lichen Gestalt richtet, antihumanistisch und erläutert vorzüglich die Nach-
wirkung dieser Tendenz bis in das 17. Jahrhundert. Wenn er von der
Bezeichnung »altchristliche Kunst« sagt, sie sei irreleitend und führe
zu einer falschen Auffassung, weil sie zwar selbstverständlich ganz brauch-
bar sein könne als äusserer umfassender Gattungsname für die künstleri-
schen Hinterlassenschaften der Christen des Altertums: das Unglück sei
nur, dass man so leicht dazu komme, ihr den Sinn unterzulegen, als sei
in diesen Überresten etwas, das in künstlerischer Beziehung verschieden
von der übrigen Kunst des Altertums sei, ein eigener Stil, eine eigene
Qualität, so wird man ihm da ganz recht geben, auch dort, wo er bei
aller Anerkennung der Forschung über die Wege und Gruppen der Kunst-
übung im frühen Mittelalter, das Hauptgewicht auf die Nachwirkung der
Antike legt und das wirklich künstlerische Interesse an der Darstellung
der menschlichen Figur erst wieder im 12. Jahrhunderte beginnen lässt.
Über die gothische Kunst erfahren wir nichts Neues, ja die Bedeutung der
Skulptur dieser Periode wird deshalb etwas zurückgedrängt, weil der Autor
mit dem modernen Humanismus, das heisst dem Studium der nackten mensch-
lichen Figur, in der Renaissance die neuere Zeit beginnen lässt, während
er alles Vorhergegangene auch in künstlerischer Beziehung zum Mittelalter
rechnet, eine Periodisirung, die veraltet ist. Man denke sich Giotto und
Jan van Eyck als Repräsentanten einer zurückgebliebenen mittelalterlichen
Kunst. Doch finden sich auch in diesen Teilen feine Beobachtungen; be-
sonders hervorzuheben wäre die Analyse von Adam und Eva auf dem
Genter Altarbilde. Im letzten Teile, der von neuerer Zeit handelt, bemerkt
man mit Bedauern grössere Lücken, weil es dem Autor nicht mehr mög-
lich war, diese Partien vollständig auszuarbeiten, was uns breiter angelegte
vorzügliche Schilderungen von Ribera,. Rubens und Louis David sehr be-
dauern lassen. Das Ganze ist trotz allem ein lesenswertes, geistvolles
Buch, das zum Weiterdenken anregt. Einer Sonderbarkeit müssen wir
schliesslich gedenken; Lange gehört zu jenen Kunstfreunden, die unter
den Galeriebesuchern nicht selten sind, selten hoffentlich unter den For-
schern, die sich über das Bestimmen der Bilder, d. h. das Zurückführen
der Bilder auf ihre wahren Urheber ärgern. Ja, ist es denn besser, einen
Künstler aus Werken, die ihm nicht zugehören, zu charakterisiren! Ihm
ist das zweimal geschehen. Er hält den Christuskopf in Vorderansicht,
der in Berlin dem Jan van Eyck zugeschrieben wird, für echt und den
feisten Kapitän ebendort für Velazquez und zieht daraus seine Schlüsse.
Wien. Franz Wickhoff.
 
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