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Universität Wien / Institut für Österreichische Geschichtsforschung [Hrsg.]
Kunstgeschichtliche Anzeigen — 1.1904

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Weixlgärtner, Arpad: [Rezension von: Hans Wolfgang Singer, Versuch einer Dürer-Biographie]
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https://doi.org/10.11588/diglit.51382#0082

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Dass gleich zu Beginn Thausing übel wegkommt, kann nicht wunder-
nehmen. Es ist ja jetzt Mode, an dem Begründer der modernen Dürer-
forsehung kein gutes Haar zu lassen. S. lässt sich gerade noch herab,
Thausings Lebenswerk »immerhin bedeutend* zu finden, ja er gesteht ihm
sogar »viele prächtige Seiten* zu. Nichts liegt mir ferner, als Thausings
Irrtum hinsichtlich der Stiche Wenzels von Olmütz entschuldigen zu
wollen, aber zu behaupten, dass dem Wiener Forscher infolge dieses Miss-
griffes »von seinem Helden rein gar nichts übrig geblieben sei*, heisst
denn doch den Mund allzu voll nehmen. Unverhältnismässig viel Platz
ist der moralischen Vernichtung von Dürers Frau eingeräumt. Ist denn
diese Frage, die schon von Thausing fast zu breit behandelt worden ist,
wirklich so wichtig oder auch nur so interessant? Übrigens spricht das
von Gümbel gefundene und veröffentlichte Fragment von Agnes’ letztem
Willen zugunsten Thausings. Die schwer zu deutenden von Dürers Stichen
bedenkt S. mit dem Attribut »abstrus*, einem Worte, das in diesem
Zusammenhang von einem Historiker wohl überhaupt nicht gebraucht wer-
den sollte. Der »Versmacherei * Dürers wird »erschreckende Öde und Ge-
dankenleere* sowie »selbstgefällige Plattheit* nachgesagt. Nun sind Dürers
Reime gewiss keine poetischen Meisterleistungen, aber als Gelegenheits-
arbeiten auf fremdem Gebiete auch nicht gar so schlecht, man lese nur
z. B. die Verse zu B. 132 und 133. »Die theoretischen Werke beweisen
nicht nur, dass Dürer schlecht Gedanken auszudrücken vermag, sondern
auch, dass es ihm schwer fällt, sie zu erfassen und logisch zu verfolgen*.
Sie »bieten nicht nur in der Form ein Wirrsal, sondern auch dem Inhalte
nach*, »lesen sich wie ein Collectaneenheft* und »machen den Eindruck
von Protokollen eines Disputirvereines*. Diese Äusserungen, denen S.
durch eine Zusammenstellung von vermeintlichen Widersprüchen in Dürers
Aufzeichnungen zur Proportionslehre die Krone aufsetzen will, treten, wenn
man den von ihm nebeneinander abgedruckten Stellen nachforscht, in
ein eigentümliches Licht. Von diesen, die angeblichen Widersprüche in-
volvirenden Stellen ') sind die ersten drei Sätze verschiedenen von L. und
F. auch auf verschiedenen Seiten gebrachten Stellen der Londoner Hand-
schriften entnommen, während die letzten zwei Sätze aus dem gleichfalls von
L. und F. und zwar in extenso abgedruckten ästhetischen Exkurs am Ende
des dritten Buches der Proportionslehre stammen. In diesem Exkurs aber
finden sich mit unwesentlichen, den Hauptgedanken völlig intakt lassenden
Änderungen auch die ersten drei Sätze; im Zusammenhang des Exkurses
nun sind die drei von S. willkürlich herausgegriffenen »Widersprüche*
(Satz 1 —|— 2, Satz 3, Satz 4 -j- 5), wie sich jeder aufmerksame Leser leicht
überzeugen kann, — keine Widersprüche mehr!* 2) S. beweist mit seiner
Zusammenstellung also nicht die Verworrenheit von Dürers Gedanken, son-
dern nur, dass er selbst es nicht einmal der Mühe wert gefunden hat,

>) Sie sind übrigens, was freilich in dieser Bibliographie nicht überrascht,
schlecht zitirt. Die ersten zwei Sätze stehen nicht, wie dies bei S. der Fall ist,
beisammen. Nur der zweite findet sich, was S. von beiden angibt, L. u. F., S. 290
und zwar Z. 20. Der erste Satz steht L. u. F., 8. 291, Z. 3 und nicht 8. 290,
Z. 1, wie es bei 8. heisst. Beim dritten Satz fehlt die Angabe der Zeile (9).
Nach dem fünften hat es nicht Z. 8, sondern 32 zu lauten.
2) Die Sätze sind zu finden L. u. F., 8. 225, Z. 10 und 12 und 8. 226, Z. 32.
 
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