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Universität Wien / Institut für Österreichische Geschichtsforschung [Editor]
Kunstgeschichtliche Anzeigen — 1.1904

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Tietze, Hans: [Rezension von: Karl Michel, Gebet und Bild in frühchristlicher Zeit; Emile Male, L'art religieux du XIIIe siècle en France, 2. Auflage]
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https://doi.org/10.11588/diglit.51382#0127

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direkten Beweis für seine Aufstellungen zu haben, das Triclinium Leo III.
anführt, ist ein recht unglücklicher Schluss seiner Beweisführung. Denn
erstens weiss doch weder der Liber pontificalia, noch Grimaldi, noch
sonst eine Quelle etwas davon, dass jene Rettungen der Apostelfürsten,
die die Aufschrift (Rossi Inscript, II. 425) erwähnt, tatsächlich auf dem
Mosaik dargestellt waren, wie Michel im Anschluss an Beissel annimmt;
zweitens darf man keinen Beweis aus dem VIII. Jahrhundert ohneweiters
für die frühere Zeit gebrauchen; wir wissen ja aus Prudentius und Paulinus
von Noea, dass in den späteren Jahrhunderten ganz andere Prinzipien für
die Auswahl der Szenen bestimmend waren, als früher. Es scheint im
Gegenteil, dass in so später Zeit das Verständnis für diese Paradigmen-
reihen schon völlig geschwunden war. Im Liber pontificalis c. e. 97 heisst
es: . . . fecit . . . vestem . . ., habentem praefiguratam storiam, qualiter beatus
Petrus a vinculis per angelum ereptus est. Da es eine Praefiguration
dieser Szene vor dem hohen Mittelalter nicht gibt, scheint hier die letzte
Darstellung einer Paradigmenreihe, die Befreiung Petri, missverstanden und
als Antitypus einer Praefiguration aufgefasst worden zu sein. Tatsächlich
nahmen diese Reihen an der allgemeinen Erstarrung der Theologie teil,
und erst die Renaissance der theologischen Studien im XI. und XII. Jahr-
hundert hat sie zu neuem Leben erweckt; eine grosse Rolle aber haben
sie nicht mehr gespielt.
Neue Gedanken waren inzwischen die führenden geworden: die Be-
gebenheiten des alten und des neuen Testaments schlossen sich nicht mehr
koordinirt aneinander; die typologische Auffassung hat erstere aus der
gleichberechtigten in eine dienende Stellung gedrängt. Und die typolo-
gische Auffassung im weitesten Sinne — d. h. die Beziehung jedweder Er-
scheinung auf die Person Christi — ist das Hauptelement in der Ikono-
graphie des hohen Mittelalters, speziell des XIII. Jahrhunderts. Dass in
diesem alle geistigen Faktoren des Mittelalters am deutlichsten zum Aus-
druck gelangen, hat Male mit Recht bewogen, es zum Mittelpunkt seiner
Darstellung zu machen, die tatsächlich viel mehr gibt als der Titel ver-
kündigt und das beste Compendium der mittelalterlichen Ikonographie ist,
das wir bis jetzt besitzen. Dieses Lob ist insofern nur ein relatives, als
Male durch den Mangel an ausreichenden Vorarbeiten von vornherein ge-
zwungen war, nur aus dem Groben zu arbeiten; es ist manches zu kurz
gekommen, besonders die Keime der Weiterentwicklung, die doch bis ins
XIII. Jahrhundert hinaufreichen und, manche feinere Wechselbeziehung
zwischen den einzelnen Kulturelementen fand kaum Beachtung. Auch hat
sich Male durch seine gründliche Kenntnis der Schriften der grossen Theo-
logen verleiten lassen, diese allzu unmittelbar mit den Bildwerken in Ver-
bindung zu setzen. Wenn er etwa (pag. 5 7, sagt: il me semble, qu’on
ne peut douter que le vitrail de Lyon n’ ait ete inspire par le speculum
Ecclesia' (des Honorius von Autun), so ist er zu sehr am Einzelfall haften
geblieben. Glasfenster in Bourges, Le Mans, Tours, Chartres, Rouen, Canter-
bury, auch andere Denkmäler wie das Kreuz von St. Bertin, die emailirte
Kupferplatte bei Debruge-Labarte, der Kelch von Werben u. v. a. variieren
die gleichen Elemente in verschiedener Weise. Um solche Analogien er-
klären zu können, muss er einen viel häufigeren Gebrauch von gelehrten
Programmen annehmen, als tatsächlich der Fall war; es ist charakteri-
 
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