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wozu er nicht vermöge seiner Natur und chtruktur
herausfordert, so gewiß ist es auch, daß ihm alles
abzugewinnen ist, was er gestattet — beides inner-
halb bekannter stilistischer Prinzipien. Und das
!Nannesma»n-verfahren bietet ein Material, welchem
eben ein Vielfaches dessen zuzumnten sein wird, was
früher möglich und erlaubt war.

So lange der Uunstschlosser und Runstschmied den
Hammer schwang, hat die Stabform des Metalls ihm
wohl zur überwiegenden Mehrzahl seiner Arbeiten
den chtoff geboten, gleichgiltig, ob er dieses Aus-
gangs-Material selbst zu schmieden gezwungen oder,
wie der heutige Lsandwerker, es als fertiges Noh-
material zu erwerben in der Lage war. So ist das
Naterial des chchmiedes seit zwei fZahrtausenden das
Atabeisen gewesen, aber — und das ist unsere feste
Ueberzeugung -— es wird i» einen sich bald ent-
wickelnden Aampf mit den Mannesmanu-Nöhren hinein
gerissen werden und es wird ihn nicht bestehen; es
wird, so behaupten wir, zu neun Zehuteilen aus
seiner herrschenden Stellung geworfen werden.

Das klingt sehr weitgehend, und doch ist der An-
fang zum praktischen Beweis der Wahrheit bereits
erfolgreich angetreten worden, wenn auch noch wenig
darüber ins große Publikum gedrungen ist. - Werden
im Wesentlicheu als die Vorznge des 5tabeisens ge-
rühmt: seine Sireckbarkeit, seine sslastizität und Bieg-
samkeit im glühenden, seiue Feftigkeit im erkalteten
Zustande, wäkrend seiue Schwere eine scharfe stilistische
Grenze für seine Anwenduug zieht, so tritt mit dem
Mannesmann-Nohr an die Stelle dieser Eigenschaft
die spezifische Leichtigkeit der daraus hergestellten
Gegenstände. Die Dehnbarkeit, Biegsamkeit, die
Fähigkeit, bei außerordentlicher Festigkeit sich hämmern
zu lassen bis zur Papierdünne, ohne zu reißen, über-
kieten dagegen die Ligenschaften des Stabeisens in
ungeahntem Maße, während ganze neue Vorzügs
noch hinzutreteu — die Möglichkeit nämlich, deln ver-
arbeiteten Nohr nach Belieben die Lsärte des härtesteli,
die Geschmeidigkeit des weichsten Stahles und Farben-
! Abstufungen in allen Tönen zu erteilen, wie sie durch
„Anlaufenlassen", Brünieren, Schwärzen usw. einer-
seits und politur andererseits bei Stahl erzielt werden
können.

Wenn eine Nöhre, wie sie aus dem Mannes-
mannschen Schrägwalzwerk hervorgeht, sich im
glühenden Zustande zu Schlingen kühnster Zeichnung
verknoten, sich biegen, ziehen, breitschlagen, auf-
weiten, umstülpen, kurz, in jeder Weise mißhandeln,
nur nicht zerstören läßt ohne Feile oder Säge; wenn
solche Röhren bei den in Lharlottenburg von der
Aäniglichen Mechanisch - Technischen versuchsanstalt
vorgenommenen Druchproben den unerhörtesten Bean-
spruchungen ausgesetzt wurden* und in einzelnen
Fällen mit den dort vorhandenen Mitteln nicht zerstört
werden konnten, daun kann wohl kühn ausgesprochen
werden, daß die Beschaffenheit des Stahles im Mannes-
maun-Rohr in fundamentalem Sinne muß verändert

* Aus deu Ergebuissou der vcrsuchsstatiou seieu uur
Zwei Beispicle erwähnt: Liu Rohr anf 2^,Z mm lichte:
Meite, ^,95 mm wandstärke, aus 87v Atmosphärcn geprüft,
blieb uiweräudert. Lin Rohr von 2L,-t mm l. N)., t mm
W. St. riß erst bei 5;8 Atm. auf.

worden sein. Und es ist nur eine Folge davon, daß
der Stahl nun auch seinen Stil im gleichen Sinne wie
seine Natur ändern wird und muß, nämlich im Sinne
einer ungeahnten verbreiterung, Ausdehnung, Ver-
mehrung seiner stilistischen Berechtigungen.

Um von den Tinwirkungen auf die konstruktive
Seite des ksochbaus, der sa vom ästhetischen Gesichts-
punkt aus fraglos in Betracht zu ziehen sein wird, hier
zuuächst abzusehen, so wird es Aufgabe des Nunstge-
werbes, insbesondere nnd in erster Linie des Nunst-
schlossers und des Nunstschmiedes sein, die j)rinzipien
zum praktischen Ausdruck zu bringen, nach welchen
das Material neue Formbildung verlangt, nach welchen
der Sinn siech bald entwöhnen wird, beim Gedanken
an ein Tisengerät unwillkürlich schlanke chtäbe und
die herkömmlichen, im Grunde keiner vielseitigen Ge-
staltung fähigen Linienführungen zu verlangen.

Die Grenzen der Gisenkunst, die, wie schon gesagt,
in erster Linie gezogen sind durch die Schwere des
Metalls, werden sich erweitern müssen: es wird
ein architektonisch wirksamer, solider (Huerschnitt an
all den Teilen eines künstlerischen chchmiedewerkes
statthaben dürfen, an welchen früher die Schwere
des vollen Stabes ein schlaukes verhältnis er-
forderte. Alles, was seiner Form nach in sym-
bolischem Sinue, oder auch thatsächlich, auf Druck
beansprucht ericheint, Stützen jeder Art, säulenartige
Bildungen: ferner dominirende Linien an Gitter- und
Grnamentrverken, werden ohne Schädigung der
Leichtigkeit und zum vorteil für die Wirkung in
stärkeren Abmessungen gehalten werden könneu, und
eine wirksamere Uuterscheidung zwischen konstruktiven
und dekoratioen Glementen wird die Folge sein. <Ls
werden mit einfachcn Nunstgriffen aus dem hohlen
gZuerschnitt der Röhren nach Bedarf und Wunsch für
Gitter und Grnamente andere Guerschnitte herzu-
stellen sein, ohne daß — wie beim massiven Stab
— eine Streckung in der Längeausdehnung not-
wendig damit verbunden wäre; eine große Grleich-
terung für die erste handwerkliche Anordnung. Nach
Belieben kann an jeder Stelle des Nohres der ZZuer-
schnitt durch Auftreiben verstärkt, durch Ziehen und
andere Behandlungsarten verringert werden; es können
Napitelle und Fußbildungen jeder (geometrischenl Linien-
führung, wie das dorischs Rapitell beiderlei Gestalt,
die attische oder dir römischs Basis, aus demSäulen-
schaft heraus unmittelbar gebildet werden, und die
Säule kann auf dem wege des wirklichen Druckes
von iimcn nach außen die reine Linie der Schwellung
erhalten.

Durch Zusaminenhäininern der Nöhre znin doppelten
oder durch Aufschlitzen derselben zum einsachen Blech
wird eine Fläche von der äußersten Treib- und Ge-
staltungs - Fähigkeit gewonnen, die zur Durchbildung
von pfianzlichen und andern Zierniotiven in weit
höherem Maße auffordert, als das aus dem Stab-
eiseu plattgeschlagene oder das gewalzte Tisenblech.

Das Gleiche gilt selbstverständlich für die ganze Rohr-
wandung, welche, an beliebiger Stelle aufgeschlitzt
und ausgehämmert, Dekorationen kühnster Art mit
der führenden Linie in einem Stück gestattet. Die
Motive der Laub-Darstellnng werden weit über die
schematischen Ronturen und die untergeordnete j?lastik
der stilisirten gotischen und Neiiaissanoe-Formen, fast
 
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