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IKundscbau.

* Dte zformenspracbe des Annstgewerbes.

(Schluß.) von der unausgesetzten Schwärmerei für
die Alten, von dem sortwährenden tzinweis aus die
alteu Runstwerke, bin ich nie ein großer Freuud ge-
wesen; in der Behandlung meines Themas kann ich
jedoch nicht umhin, auf die in der That eiufache,
reine und edle Formensprache der Griecheu hinzuweisen.
Ls ist der selbstverstäudliche, schlichte Gebrauch einer
Sprache, die sich soeben erst so recht entwickelt hatte,
der uus zwingt, von dort uns die Renutnisse zu ihrer
Beherrschung zu holen. Da ist kaum je ein Falsch-
oder Scheingebrauch der Llemente dieser Sprache,
jedes wort spricht klar und vernehmlich an der
richtigen Stelle. Und welche edle, schöne, ruhige Lr-
zählung! Nehmen wir ein einsaches Glied heraus,
deii Lchinus im dorischen Rapitäl. So einfach, wie
dieses Bauglied ist, so schön, so edel, so überzeugend
sagt es uns: „ich stütze, denn ich werde gedrückt!"
Die leichtgebogene, stramme Linie untsr schiefem
winkel spricht das wort: „ich stütze", die kurze,
scharfe Biegung oben ruft: „ich werde gedrückt",
nämlich von der darauf ruhendeu Last. Den sich uach
unten gleichmäßig verbreiternden Schaft der dorischen
Säule möchte ich vergleichen mit der gespreizten
Stellung eines Rraftmenscheu, dessen Anblick uns
Respekt vor seinen Leistungen beibringt. ))ch möchte
mich vsrpflichteu, hundert solcher kleiner Züge, hundert
worte aus dem Schatze der griechischeu Formensprache
vorzuführen. Da eine derartige 2lufführung jedoch
zu weit ablenken würde, begnüge ich mich, nur aus
noch einige wenige „worte" aus dieser Formensprache
aufmerksam zu machen. Da haben wir in den pro-
fileu die einwärts gekrümmten Linien iu einer Unzahl
von Variationen, die alle denselben Gedanken in mehr
oder weniger beweglichen worten ausdrücken. Alle
rufen sie aus: „ich werde gedrückt", die eine: „ich
werde sehr gedrückt", die andere: „ich werde furcht-
bar gedrückt", die drilte: „ich halte es kaum aus."
Da sind ferner die nach auswärts gekrüminten Linien,
die mehr oder minder trotzig, keck oder siegesgewiß
den Gedanken verkörpern: „ich steife mich gegen den
Druck", „ich lehne mich dagegen auf". Die Ver-

bindung beider zu einem profil idie Rarnisse) drückt
auch die verbindung beider Gedanken klar aus,
nämlich: „ich werde gedrückt, aber ich steife mich da-
gegen!" Und die weise, in der es gesprochen wird,
macht diese Behauptung mehr oder weniger glaub-
würdig, mehr oder weniger überzeugend. Lsaben wir
nur diese wenigen worte aus dem Schatze der
Formensprache uns angeeignet, welch reiche Lrzählung
hallt uns aus dem einzelnen Bauwerk entgegen!

Zch wollte nicht von der Architektur als der
Lsauptsache reden, aber ich mußte ste berühren, wenn
ich die Anwendung auf das Runstgewerbe ableiten
wollte.

Aus der Architektur ist das Runstgewerbe ent-
standen, aus ihr hat es sich die Akotive geholt, nach
ihr hat es sich stets gerichtet, und von ihr ist es stets
beeinflußt worden. Zunächst steht ihr wohl am
nächsten die Runsttischlerei, und für sie gilt auch im
Linzelnen das Meiste von dem, was ich vorher aus-
einandersetzte. Die Rnnstdrechslerei, die Bildhauerei
muß sich derselben Sprache bedienen. Die Runst-
schlosserei steht vielleicht etwas ferner — vielleicht?
denn sie macht ja auch Anwendung von den an-
geführten gekrümmten Linien als Stützen, sei es in
wandarmen, sei es in Streben, andrerseits treten ja
auch die verschiedenen profilirungen im Bereiche der
Runstschmiedetechnik auf. Allerdings kommen für die
Runstschlosserei noch einige neue worte hinzu, z. B.
für Gitter die Begriffe: „ich wehre ab", oder „bleibe
zurück!" u. s. w., die durch besondere ausdrucksvolle
Spitzen und Stacheln u. s. w. charakterisirt werden.
Alle Linzelheiten vorzuführen, kann nicht die Aufgabe
dieser Arbeit sein. wollte nur darauf hinweisen,

daran erinnern, daß das Runstgewerbe in allen seinen
Gebieten eine vollständige, wohlausgebildete Formen-
sprache besitzt, in die sich der ausübende Runst-
handwerker einleben muß, mit der er sprechen lernen
soll, so daß aus jeder Liiüe, die er verkörpert, aus
jedem Linzelteil laut und unzweifelhaft die Bestimmung,
aus dem ganzen werk eine wohlabgerundete Lr-
zählung spricht. Sie hat ja sehr viele Dialekte, diese
Sprache: jedes Nkaterial spricht einen andern, Lisen
 
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