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Blüte des Blattes, des Stiels jeder einzelnen Manze
ungesucht zu symmetrischen oder chytmischen Neihen
gruppiren lassen, also Muster bilden. Das ist der
weg, den Lngland in seiner ungemein folgerichtigen
und stetigen Runstentwicklung befolgt hat und den
in den letzten Zeiten Nordamerika mit Glück fortgesetzt
hat. Der Linfluß, den Lngland schon seit längerer
Zeit auf die Rleidermoden des Festlandes ausgeübt
hat, kommt somit nun auch im Runstgewerbe allmälich
zur Geltung. Und mit vollem Necht. Der verfeinertste
Geschmack ist jetzt dort zu bsause und nicht mehr in
paris. Bis die Architektur zur Linkehr gelangt und
Buße thut für all die Sünden, die sie in den letzten
Zahrzehnten auf sich geladen hat, wird wohl noch
einige Zeit vergehen. Auf sie aber kommt es nament-
lich an, wenn auch das Uunstgewerbe von einer durch-
greifenden Läuterung erfaßt werden soll. werden
erst unsere Architeken wieder im Stande sein, die
Häuser von innen heraus zu bauen, d. h. so, daß der
äußere Anblick sich als die Folge der besonderen Be-
dürfnisse, denen entsprochen werden sollte, ergiebt, so
kommt jene ungesuchte Freiheit in die Fassaden, die
zur Dekorirung mittels natürlich sich entwickelnder
Formen führt. Zm Znnern wird dann, sobald erst
der einzelne Naum als ein Zndividuum und eine Reihe
von Näumen als eine Gruppe ersaßt wird, Lharakter
in die Färbung kommen müssen; dann werden auch
die Möbelstoffe, die vorhänge, die Teppiche dem sich
anzupassen haben, nicht im 5inn irgend welcher Stil-
mäßigkeit oder Linheit, sondern auf Grund der sich
ausgleichenden sei es Gegensätze, sei es Abstufungen.
Die Formen der Nlöbel aber werden gefunden, so°
bald man auch hier auf das Bedürfnis sich besinnt
und nicht bloßen „Zierrat" verlangt.

* Die Ikunst in der Andustrte. Den

folgenden Aufsatz, den Ludwig bseimann in der
„Gegenwart" veröffentlicht hat, begrüßen wir mit ver-
gnügen als einen neuen Beweis dafür, daß sich immer
weitere Rreise den Anschauungen anschließen, die zur
Gründung auch unseres Blattes geführt haben:

Die Aunst in der Zndustrie zu wecken, den Sinn
und das verständnis für jene in allen unseren Ge-
werken in Deutschland neu zu beleben, ist das eifrige
und rühmenswerte Bestreben unserer Tage. Über die
berechtigte Notwendigkeit dieses Beginnens, über den
nur zu fühlbaren Nlangel an künstlerischem Binn ist
schon so vieles und wahres gesprochen und geschrieben
worden, daß dem kaum noch etwas Bemerkenswertes
hinzuzufügen sein dürfte; wohl aber ist es geboten,
die Mittel, die zur Hebung dieses nationalen Übel-
standes in Angriff genommen werden, einer eingehen-
deren Rritik zu unterziehen, umsomehr, als man im
großen Ganzen bei dieser Angelegenheit die verhält-
nisse von einem sehr einseitigen chtandpunkte aus zu
betrachten und die Nlaßnahmen demgemäß zu treffen
scheint, so daß die Folgen derselben nicht, wie es not-
wendig, volle und durchgreifende, sondern nur halbe
und schwächliche Nesultate sein dürften.

Die Thatsachen, wie sie vor uns liegen, sind
nicht wegzuleugnen. Das geschmacklos chchablonen-
hafte, das hauptsächlich durch die möglichste Billigkeit
des verkaufsxreises beeinflußt wird, herrscht in unserem
induftriellen Leben im Allgemeinen vor. Der Staat
sucht nun durch Lrrichtung von Fach- und Gewerbe-


schulen, wie durch Neformirung der schon bestehenden >
Anstalten neue tüchtige üräfte heranzubilden, vereine '
und private wetteifern darin, durch die verschiedensten ^
Niittel bildende Llemente in die Nlitte des arbeitenden
volkes hinein zu verpflanzen, die dazu beitragen, die
Geschmacksrichtung und den Rünstlersinn unserer
hsandwerker zu läutern und zu verfeinern — das ist
die parole unserer Tage, der Gesamtzweck der Be-
strebungen, die dahin zielen, das Aunstgewerbe wieder
auf die ^öhe früherer Zahrhunderte zu bringen. Und
gewiß sind auch alle die zur Grreichung dieses Zweckes
vorgeschlagenen und bereits mehr oder weniger in
Angriff genommenen Nlittel, die Lrrichtung von Fach-
schulen, Akademien, die Anlegung von Nunstsamm-
lungen usw., auf das Höchste zu billigen, und es ist
nur zu wünschen, daß von den Negierungen, wie von
Nommunen und jDrivaten diesen Bildungsmitteln der
größtmögliche vorschub geleistet werde. Alle diese
Reformen und Neueinrichtungen berücksichtigen aber
leider nur immer die eine Seite der Frage und lassen
die andere, sehr wichtige cheite vollkommen unberück-
sichtigt.

Denken wir uns um zwei, drei Zahrzehnte weiter,
nehmen wir an, durch die mit aller Lnergie auf-
gebotene und durchgeführte Agitation sei der beab-
sichtigte Zweck zum großen Teil erreicht, wir hätten
dann schon einen so bedeutenden üern in unserem
Handwerkerstande bis auf das höhere Nioeau einer
geläuterten Geschmacksrichtung herangebildet, daß uns
nun die Durchdringung unseres gesamten Runstge-
werbes von diesem veredelten Nunstsinn nur noch
als ein notwendig vor sich gehender Lntwickelungs-
prozeß erschiene — würden wir dann also wirklich
an dem Ziele unserer wünsche angelangt sein? So
einfach liegen die verhältnisse nun doch nicht, als daß
wir diese Frage ohne Weiteres mit Za beantworten
könnten. N)ir haben eben den anderen Faktor ver-
gessen, der hier von ebenso großer wichtigkeit ist, als
dieproduzirenden bjandwerker, nämlich das kaufende
publikum. Zn mancher Beziehung würde ja ge-
wiß auch das spublikum durch die verbesserte Ge<
schmacksrichtung des Runsthandwerks günstig beein-
flußt werden, im Allgemeinen würde man aber er-
fahren, daß die ganze Aufgabe kaum zur Hälfte er-
füllt sei, weil man die ästhetische Lrziehung des ganzen
volkes vernachlässigte. Was nützt denn die technisch
geschulte Lsand, das an den schönsten Formen geübte
Auge des Handwerkers, wenn er nirgends oder nur
hächst selten ein Verständnis für seine Arbeit findet?

Ls würde sich eben dann im Großen das wiederholen,
was heute oft genug in Linzelfällen wahrzunehmen
ist. Mir können doch nicht annehmen, daß in den
letzten Zahrzehnten im Handwerkerstand gar keine
tüchtigen, intelligenten Rräfte erwachsen seien. Nianch
begabter junger Niann hat die welt durchzogen, sich
an dem Schönem, das er draußen gesehen, begeistert
und hatte das warme, edle Gefühl für die Runst in
seine heimische werkstatt hineingetragen, um im hfin-
blick auf die großen Vorbilder, die vor seiner cheele
schwebten, auch in der ferneren Ausübung seines Be-
rufes stets ein Zünger der Nunst zu bleiben. Aber
er wurde von seiner Umgebung nicht verstanden, die
Läufer seiner Lrzeugnisse zeigten sich vollständig teil-
nahmlos für das wahrhaft Schöne, das er in seine

— si —
 
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