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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 8.1897

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Schreiber, Theodor: Das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4884#0010
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DAS EEICHSGERICHTSGEBÄUDE IN LEIPZIG.

gebäude Wallot's —
— vielleicht am deut-
lichsten erkennbar.
Man darf sie in
drei Eigenschaften
suchen, die Ludwig
Hoffmann in höherem
Maße besitzt, als die
meisten seiner Fach-
genossen.

Zunächst in der
Klassicität seiner
Bhythmik und For-
mensprache. Ist die

Architektur die
Kunst, das tote Bau-
material zu beleben,
durch sinnvolle, einen
inneren Organismus
mit gegeneinander
wirkenden Kräften
andeutende Formen,
so hat sie auch eine
innere Verwandt-
schaft mit der Bild-
hauerei, insofern ihr
die korrekte Bildung
der einzelnen Glie-
der, mit denen sie
baut, ebenso sehr

Naturzwang sein
muss, wie die Folge-
richtigkeit der Zu-
sammenfügung der-
selben. Sie hat mit
der Bildhauerei fer-
ner gemeinsam, dass

ihre Schöpfungen
rhythmisch geglie-
dert, wohl propor-
tionirt, d. h. in den
besten Maßverhält-
nissen genau abge-
wogen sein müssen,
wenn sie dem ästhe-
tisch geschulten Auge
als schön erscheinen
sollen. Nun wissen
wir zwar aus der Bau-
geschichte, dass die
einzelnenFormen und
die Maßverhältnisse

sich epochenweis
ändern, dass beispiels
weise das Propor-

tionsgefühl der friihgriechischen Zeit dem der spätgriechi-
schen nicht mehr gleicht, noch weniger dem der römischen,
und dass die Renaissance keineswegs eine Wiederbelebung
antiker Baugesetze ist, sondern am Geiste und an Fleisch
und Bein der Antike erneuert. Aber aus dieser That-
sache der Kunstgeschichte ergiebt sich doch nicht die
Folgerung, dass die überlieferten Formen leere Formeln
sind und ihre Anwendung der regellosen Willkür des
Architekten preisgegeben ist, wie wir heutzutage oft
genug beobachten können. Um mit Beispielen weiter
zu erläutern, was wir meinen, ist die Bustika durchaus
nicht ein äußerlieh angefügtes, in allen möglichen Um-
bildungen und Verbildungen gleichberechtigtes Flächen-
ornament. Triglyphenschlitz, Tropfenreihe und ähnliche
Graecismen sind nicht sinnlose Zieraten, die an jeder
Stelle und in jeder beliebigen Umgestaltung am Platze
sind. Auch wäre es früher wohl nie versucht worden,
Formen der Frührenaissance in der Rhythmik des Barock-
stils vorzutragen oder den Musterschatz der Vergangen-
heit willkürlich durcheinander zu mengen. Gerade in
dieser Beziehung vollzieht sich in der Phantasie der
modernsten unter den neueren deutschen Architekten eine
allmähliche, sehr energisch abseits drängende Umwandlung,
und Ludwig Hoffmann vertritt im Gegensatz zu ihnen
die reinen Formen und die harmonischen Maßverhältnisse
der klassischen Vorzeit, ohne deshalb an Selbständigkeit
und Charakter einzubüßen. In dem Ebenmaß der Einzel-
bildungen, welches in jedem Baume seines Monumental-
baues ein anderes, auf Größe, Bestimmung und Gesamt-
wirkung desselben abgestimmt ist, äußert er ein Baum-
gefühl von seltenster Feinheit, allerdings ohne den
prätenziösen Anspruch, in jedem Stück ein Neuerer und
den Alten überlegen sein zu wollen. Aber die Sucht,
originell zu erscheinen um jeden Preis und in dem
Kunstwerk Charakter zu zeigen auf Kosten der Schön-
heit, ist ja überhaupt ein Grundübel, an dem die
modernsten unter unseren Architekten so häufig kranken.
Im Vergleich zu manchem von ihnen und nach deren
Urteil wird Hoffmann als gelehrt und berechnend, als
von des Gedankens Blässe angekränkelt, vielleicht gar
als Doktrinär erscheinen, denn er weiß überall, was er
will, und warum er es so und nicht anders macht. Aber
das Geheimnis seiner Wirkung liegt doch eben darin,
dass er durch das Studium der Vergangenheit mit dem
Verständnis ihres organischen Schaffens sich die Gesetze
eines reinen Stils zu eigen gemacht hat, und der Erfolg
hat ihm Recht gegeben.

Ich wüsste nicht, dass Stil und Dekorationsweise
derjenigen Kunst, welche die Thermen Diokletian's schuf,
seitdem jemals wieder mit größerer Gabe der echtesten
Nachempfindung lebendig gemacht worden sind, wie in
dem Festsaal der Präsidentenwohnung des Reichsgerichts.
Mit welchem Geschick hier z. B. der sonst übliche und
für klassisch gehaltene Schwulst der Stuckverzierungen
eingeschränkt worden ist, zeigt die Abbildung eines Aus-

Detail aus dem Festsaal in der Präsidenten-
wohnung im Beiclisgericlit.
 
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