SPITZENSTUDIEN AUS VENEDIG.
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Gobelin, nach einem Entwurf von Professor Max Koch ausgeful
dass die Spitzenindustrie Ende des XVI. Jahrhunderts
auf jener Insel eingeführt ist.
Bis in die letzten Jahre der Republik waren
Burano-Spitzen von Fremden sehr gesucht, doch kam
dann der Verfall. Ganz aufgehört hat die Industrie in
Burano, wie in Pallestrina und der Giudecca, freilich
niemals, aber es bedurfte der Hilfe hoher Protektoren
und vieler Geldmittel, um sie neuerdings wieder zur
Blüte zu bringen. Das geschah im Jahre 1872, als
ein besonders strenger Winter die Insulaner am Fisch-
fang gehindert hatte. Die Bevölkerung kam in die
größte Not, Venedig und ganz Italien veranstal-
teten Sammlungen, deren Ertrag noch einen Über-
schuss lieferte, der zur Einführung einer Industrie, des.
Netzestrickens, verwendet wurde, um die Bewohner vor
ähnlichen Notständen zu schützen. Aber die Fischer
strickten ihre Netze selbst und der Versuch missglückte.
Da wusste Signore Paolo Fambri einflussreiche Per-
sonen für das Wiederbeleben der Spitzenindustrie zu
interessiren. Die Königin übernahm das Protektorat
über eine zu gründende Spitzenschule; die Fürstin Chigi-
Giovanelli und die Gräfin Andriana Marcello förderten
sie am eifrigsten, und das nötige Kapital war bald zu-
sammengebracht. Die jetzige Lehrerin, Signora Anna
Bellorio d'Este, musste einer siebzigjährigen Spitzen-
arbeiterin, Cencia Scarpariola,J) die selbst nicht imstande
1) Dass Cencia damals die einzige noch lebende Spitzen-
iirt in der Gobelin-Manufaktur von W. Ziescb & Co., Berlin.
war, zu unterrichten, das Spitzennähen absehen. Die
Schule wurde mit 8 Schülerinnen eröffnet; diesen ersten
folgten schnell andere.
Die Königin Margherita, die Gräfin Marcello und
der Cavaliere Guggenheim schenkten der neuen Schule
Sammlungen alter Spitzen, auch wurden die Spitzen des
Kronenschatzes, die einst in Venedig für den Papst
Eezzonico (Clemenz VII.) und den Kardinal Petz gear-
beitet waren, der Schule zu Studienzwecken geliehen.
Die Seele des neuen Unternehmens war die edle
Andriana Marcello. Sie starb 1893 und ihr Andenken
wird von allen Einwohnern Buranos aufs dankbarste
gesegnet.
Heute besitzt die Schule ein eigenes Haus und
wird von 340 Schülerinnen besucht, die oft schon
im siebenten oder achten Jahre eintreten. 90 Frauen
arbeiten außerdem in ihrer Wohnung. Die Schülerinnen
bringen es dahin, dass sie alle alten Spitzen täuschend
nachahmen. Der Tagesverdienst einer Arbeiterin
schwankt zwischen 70 Cent und 1 Lire 25 Cent. Das
ist ein geringer Lohn, denn das Spitzennähen greift
die Augen sehr an. Selten ist eine Frau länger
als bis zum dreißigsten Jahre dazu im stände; später
muss sie sich aufs Spitzenklöppeln verlegen.
näherin gewesen sei, ist ein Märchen, welches Engländern
und Amerikanern erzählt wird, » ihnen die Industrie m-
teressant zu machen.
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Gobelin, nach einem Entwurf von Professor Max Koch ausgeful
dass die Spitzenindustrie Ende des XVI. Jahrhunderts
auf jener Insel eingeführt ist.
Bis in die letzten Jahre der Republik waren
Burano-Spitzen von Fremden sehr gesucht, doch kam
dann der Verfall. Ganz aufgehört hat die Industrie in
Burano, wie in Pallestrina und der Giudecca, freilich
niemals, aber es bedurfte der Hilfe hoher Protektoren
und vieler Geldmittel, um sie neuerdings wieder zur
Blüte zu bringen. Das geschah im Jahre 1872, als
ein besonders strenger Winter die Insulaner am Fisch-
fang gehindert hatte. Die Bevölkerung kam in die
größte Not, Venedig und ganz Italien veranstal-
teten Sammlungen, deren Ertrag noch einen Über-
schuss lieferte, der zur Einführung einer Industrie, des.
Netzestrickens, verwendet wurde, um die Bewohner vor
ähnlichen Notständen zu schützen. Aber die Fischer
strickten ihre Netze selbst und der Versuch missglückte.
Da wusste Signore Paolo Fambri einflussreiche Per-
sonen für das Wiederbeleben der Spitzenindustrie zu
interessiren. Die Königin übernahm das Protektorat
über eine zu gründende Spitzenschule; die Fürstin Chigi-
Giovanelli und die Gräfin Andriana Marcello förderten
sie am eifrigsten, und das nötige Kapital war bald zu-
sammengebracht. Die jetzige Lehrerin, Signora Anna
Bellorio d'Este, musste einer siebzigjährigen Spitzen-
arbeiterin, Cencia Scarpariola,J) die selbst nicht imstande
1) Dass Cencia damals die einzige noch lebende Spitzen-
iirt in der Gobelin-Manufaktur von W. Ziescb & Co., Berlin.
war, zu unterrichten, das Spitzennähen absehen. Die
Schule wurde mit 8 Schülerinnen eröffnet; diesen ersten
folgten schnell andere.
Die Königin Margherita, die Gräfin Marcello und
der Cavaliere Guggenheim schenkten der neuen Schule
Sammlungen alter Spitzen, auch wurden die Spitzen des
Kronenschatzes, die einst in Venedig für den Papst
Eezzonico (Clemenz VII.) und den Kardinal Petz gear-
beitet waren, der Schule zu Studienzwecken geliehen.
Die Seele des neuen Unternehmens war die edle
Andriana Marcello. Sie starb 1893 und ihr Andenken
wird von allen Einwohnern Buranos aufs dankbarste
gesegnet.
Heute besitzt die Schule ein eigenes Haus und
wird von 340 Schülerinnen besucht, die oft schon
im siebenten oder achten Jahre eintreten. 90 Frauen
arbeiten außerdem in ihrer Wohnung. Die Schülerinnen
bringen es dahin, dass sie alle alten Spitzen täuschend
nachahmen. Der Tagesverdienst einer Arbeiterin
schwankt zwischen 70 Cent und 1 Lire 25 Cent. Das
ist ein geringer Lohn, denn das Spitzennähen greift
die Augen sehr an. Selten ist eine Frau länger
als bis zum dreißigsten Jahre dazu im stände; später
muss sie sich aufs Spitzenklöppeln verlegen.
näherin gewesen sei, ist ein Märchen, welches Engländern
und Amerikanern erzählt wird, » ihnen die Industrie m-
teressant zu machen.