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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 8.1897

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Homann-Lanfer, Elisabeth: Spitzenstudien aus Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.4884#0033
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SPITZENSTUDIEN AUS VENEDIG.



Als die Schule zu Burano für die vor-
nehmen Familien Italiens arbeitete, kam auch
der Spitzenhandel wieder hoch. Neue Ab-
satzgebiete wurden erschlossen. Im Jahre
1879 ward die bekannte Spitzenfabrik von
M. Jesurum & Cia- gegründet. Anfangs be-
schäftigte sie 30 Arbeiterinnen, jetzt 4000.
In Venedig und auf allen umliegenden Inseln
sind fleißige Hände für die Fabrik thätig.
Die Arbeiterinnen nähen oder klöppeln zu
Hause, wenn sie keine Anleitung mehr
brauchen. Für den Untei-richt sorgen Spitzen-
schulen der Firma auf Pallestrina, Chioggia,
Porto Secco und vielen andern Inseln.

Die beiden großen Verkaufslokale von
Jesurum & Cia sind Sehenswürdigkeiten Vene-
digs, wie die Glasfabriken. Engländer und
Amerikaner sind Hauptkäufer; ohne sie würde
die Industrie keinen solchen Aufschwung ge-
nommen haben, dem Geschmacke des großen
Publikums muss daher Bechnung getragen
werden, die arbeitenden Mädchen, welche in
den Verkaufslokalen das Interesse der Be-
sucher wecken sollen, verfertigen zumeist so-
genannte polychrome Spitzen — Klöppel-
arbeiten in bunter abschattirter Seide, die
große Geschicklichkeit erfordern, aber ge-
schmacklos sind.

In den Verkaufssälen sind neben Filet-
arbeiten, Nachbildungen alter Stickereien und
Webereien, einer Sammlung alter Spitzen
eine große Menge genähter und geklöppelter
Spitzen ausgestellt. Modernes läßt in Zeich-
nung und Ausführung zu wünschen, doch es
giebt ausgezeichnete Nachbildungen edler alter
Muster. Die Fähigkeit, das schönste und
schwerste zu arbeiten, ist vorhanden, aber
es fehlen die Käufer.

Wie in Venedig alles an die Zeit seines
Glanzes erinnert, so auch die Spitzen. Ehe-
mals waren sie dazu bestimmt, die Kirchen
und Paläste Venedigs zu schmücken, die Pracht
der Gewänder seiner Bewohner zu erhöhen.
Aber die Zeiten haben sich geändert; jetzt
mühen sich tausend fleißige Hände und die
Fremden kommen und tragen die Arbeiten
über den Ocean, wo es guter Ton geworden
ist, venetianische Spitzen mitzubringen. Dass
diese sich von früher her ihren guten Namen
bewahrt haben, ist ein Glück, weil Tausende
dadurch in den Stand gesetzt werden, sich
ihren Lebensunterhalt zu erwerben.

ELISABETH HOMANN.
 
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