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OSCAR ROTY.
lange und häufig- mit Recht mis'sachtete Allegorie. Aus
dem leblosen Schemen mit den konventionellen Be-
wegungen und gebauschten Draperieen ward unter seiner
Hand ein zartes, fein beseeltes Menschenwesen von
schlanken Körperformen und lieblichem Antlitz, das in
Bewegung, Tracht und Ausdruck Idealität und Wirk-
lichkeit aufs wunderbarste verbindet. Wie reizend
offenbart sich dies z. B. in der auf unserer Tafel re-
produzirten Allegorie der „Wachsamkeit", mit der
Unterschrift: „BE-
GARDE .ECOVTE.
VEILLE!" Es ist
eine Blaquette, wel-
che der Künstler für
Herrn Henri Loze,
den damaligen Poli-
zeidirektor von Pa-
ris — und heutigen
französischen Bot-
schafter in Wien —
ausgeführt hat. An
ihrem von Lampen-
schein erhellten Ar-
beitstische, über dem
an der Wand das
Wappen von Pa-
ris befestigt ist,
sitzt eine jugend-
liche Frauengestalt,
in charakteristischer
Bewegung sich nach
dem geöffneten Fen-
sterumwendend. Der
Blick schweift hin-
aus über das Häu-
senneer der Stadt,
über deren Dächer
der schlanke Turm
der Sainte Chapelle
emporragt. Wie
geistvoll zutreffend
und wie durchaus
realistisch zugleich
ist jeder Zug, jedes
Detail in dieser klassischen Komposition! Herr Loze,
der sich in seiner schwierigen damaligen Stellung zahl-
reiche Freunde erworben hatte, gab denselben zur Feier
seines fünfjährigen Ernennungstages (11. März 1893)
ein großes Diner und ließ als Erinnerung daran die
Plaquette machen. Auf der Rückseite steht das Menü.
— Ein anderes, nicht minder schönes Plättchen hat
Roty als Andenken für seine Freunde gearbeitet, wie
die Schrift' auf dem Revers besagt, zur Erinnerung
an einen ihm unvergosslichen Tag (3. Dezember 1890).
Da sitzt eine anmutige Mädchengestalt unter einem
Plättclieu für Charles Christofle, von 0. .Roty
Blütenbaum, das Kinn in die Hand gestützt, in ein Buch
vertieft, das auf ihrem Schöße liegt; andere Bücher und
Messinstrumente sehen wir vorn auf dem Boden. Es
ist ein Bild der Beschaulichkeit, des Friedens, den die
Arbeit gewährt. Darunter lesen wir: IN . LABORE .
QVIES. — Das glückliche Familienleben des Meisters
spiegelt sich in einer seiner köstlichsten Medaillen wie-
der, deren Bilder unsere Tafel reproduzirt. Der Avers
hat die Umschrift 'MATERNITE und zeigt uns die
junge Gattin des
Künstlers mit ihrem
jüngsten Kinde auf
dem Arm, dessen
Taufe (29. Oktober
1892) durch die Me-
daille gefeiert wurde.
Es ist eine Gruppe
von Rafaelischer An-
mut und Natürlich-
keit. Gewiss trägt
jeder Zug daran den
Stempel der persön-
lichen Charakteri-
stik, der unmittel-
barsten Lebensan-
schauung. Und doch
ist das Ganze hoch
über das Niveau der
Wirklichkeit empor-
gehoben zu einem
Idealbilde reiner
Menschlichkeit. Be-
sonders zu betonen
ist,' dass die Model-
lirung dieser Me-
daille an Zartheit zu
dem Vollendetsten
gehört, was Roty
geschaffen hat. In
jeden Strich legte
er seine Seele. Die
Heliogravüre kann
davon nur eine
schwache Vorstel-
lung geben. Die Schrift auf dem Revers der Me-
daille ist von einem Zweig wilder Rosen umgeben,
die sich hell von dunklem Grunde abheben. In der
Mitte unten sitzt ein Vöglein im Nest und sperrt weit
das Schnäbelchen auf. Auch dieser Schmuck der Rück-
seite zeugt für die hohe originale Kraft des Meisters
gerade durch ihre unsagbare Einfachheit.
Zahlreich sind unter den Arbeiten Roty's die Dar-
stellungen, in denen allegorische Bilder mit Porträts
bedeutender Persönlichkeiten im Zusammenhange stehen.
So z. B. giebt er uns auf einer Medaille, welche dem
OSCAR ROTY.
lange und häufig- mit Recht mis'sachtete Allegorie. Aus
dem leblosen Schemen mit den konventionellen Be-
wegungen und gebauschten Draperieen ward unter seiner
Hand ein zartes, fein beseeltes Menschenwesen von
schlanken Körperformen und lieblichem Antlitz, das in
Bewegung, Tracht und Ausdruck Idealität und Wirk-
lichkeit aufs wunderbarste verbindet. Wie reizend
offenbart sich dies z. B. in der auf unserer Tafel re-
produzirten Allegorie der „Wachsamkeit", mit der
Unterschrift: „BE-
GARDE .ECOVTE.
VEILLE!" Es ist
eine Blaquette, wel-
che der Künstler für
Herrn Henri Loze,
den damaligen Poli-
zeidirektor von Pa-
ris — und heutigen
französischen Bot-
schafter in Wien —
ausgeführt hat. An
ihrem von Lampen-
schein erhellten Ar-
beitstische, über dem
an der Wand das
Wappen von Pa-
ris befestigt ist,
sitzt eine jugend-
liche Frauengestalt,
in charakteristischer
Bewegung sich nach
dem geöffneten Fen-
sterumwendend. Der
Blick schweift hin-
aus über das Häu-
senneer der Stadt,
über deren Dächer
der schlanke Turm
der Sainte Chapelle
emporragt. Wie
geistvoll zutreffend
und wie durchaus
realistisch zugleich
ist jeder Zug, jedes
Detail in dieser klassischen Komposition! Herr Loze,
der sich in seiner schwierigen damaligen Stellung zahl-
reiche Freunde erworben hatte, gab denselben zur Feier
seines fünfjährigen Ernennungstages (11. März 1893)
ein großes Diner und ließ als Erinnerung daran die
Plaquette machen. Auf der Rückseite steht das Menü.
— Ein anderes, nicht minder schönes Plättchen hat
Roty als Andenken für seine Freunde gearbeitet, wie
die Schrift' auf dem Revers besagt, zur Erinnerung
an einen ihm unvergosslichen Tag (3. Dezember 1890).
Da sitzt eine anmutige Mädchengestalt unter einem
Plättclieu für Charles Christofle, von 0. .Roty
Blütenbaum, das Kinn in die Hand gestützt, in ein Buch
vertieft, das auf ihrem Schöße liegt; andere Bücher und
Messinstrumente sehen wir vorn auf dem Boden. Es
ist ein Bild der Beschaulichkeit, des Friedens, den die
Arbeit gewährt. Darunter lesen wir: IN . LABORE .
QVIES. — Das glückliche Familienleben des Meisters
spiegelt sich in einer seiner köstlichsten Medaillen wie-
der, deren Bilder unsere Tafel reproduzirt. Der Avers
hat die Umschrift 'MATERNITE und zeigt uns die
junge Gattin des
Künstlers mit ihrem
jüngsten Kinde auf
dem Arm, dessen
Taufe (29. Oktober
1892) durch die Me-
daille gefeiert wurde.
Es ist eine Gruppe
von Rafaelischer An-
mut und Natürlich-
keit. Gewiss trägt
jeder Zug daran den
Stempel der persön-
lichen Charakteri-
stik, der unmittel-
barsten Lebensan-
schauung. Und doch
ist das Ganze hoch
über das Niveau der
Wirklichkeit empor-
gehoben zu einem
Idealbilde reiner
Menschlichkeit. Be-
sonders zu betonen
ist,' dass die Model-
lirung dieser Me-
daille an Zartheit zu
dem Vollendetsten
gehört, was Roty
geschaffen hat. In
jeden Strich legte
er seine Seele. Die
Heliogravüre kann
davon nur eine
schwache Vorstel-
lung geben. Die Schrift auf dem Revers der Me-
daille ist von einem Zweig wilder Rosen umgeben,
die sich hell von dunklem Grunde abheben. In der
Mitte unten sitzt ein Vöglein im Nest und sperrt weit
das Schnäbelchen auf. Auch dieser Schmuck der Rück-
seite zeugt für die hohe originale Kraft des Meisters
gerade durch ihre unsagbare Einfachheit.
Zahlreich sind unter den Arbeiten Roty's die Dar-
stellungen, in denen allegorische Bilder mit Porträts
bedeutender Persönlichkeiten im Zusammenhange stehen.
So z. B. giebt er uns auf einer Medaille, welche dem