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AUFGABE DER KUNSTGEWERBE-MUSEEN.
Schöpfungen verwandter Natur, mit
dem Pan von Kinderjahren und
Mannesjahren zu sprechen. Museen
sind überhaupt keine Schöpfungen,
die man nach dem Schema selbst-
ständiger, organisch wachsender Ge-
bilde klassifiziren könnte.
Alle Kunstsammlungen sind nur die
Niederschläge jeweiliger Stimmungen
undGeschmacksrichtungen. Besondere
Umstände können eine Sammlung, wie
das Grüne Gewölbe, in dem Zustande
von 1750 festnageln, aber selbst in
diesem festesten Hafen wehen die
Winde: die um 1750 an die ent-
legenen Stellen verbannten Pokale
des XVI. Jahrhunderts sind um 1870
an die sichtbarsten Stellen geschoben.
Wer von uns weiß, wie man 1970
ordnen wird?
Alle wirklich lebendigen Samm-
lungen bewegen sich fortwährend in
ihrem Bestände. Was in Berlin unter
Friedrich IL an Gemälden am wert-
vollsten galt, ist jetzt zum großen
Teil in Magazine gewandert; was
man 1820 an französischen Bildern
des königlichen Besitzes nicht für
wert hielt, in die Bildergalerie aufge-
nommen zu werden, würde jetzt einen
ihrer größesten Ruhmestitel bilden.
Die Magazine aller Museen erleben
merkwürdige Geschichten.
Die jetzt beliebte Formation gewisser Gruppen des
Kunstvorfats als „Kunstgewerbe-Museum" als etwas für
alle Zeiten Bleibendes anzusehen, wäre eine Thorheit. Die
Wahrscheinlichkeit spricht dafür, wie alle Fachmänner es
längst annehmen, dass der kulturgeschichtliche Charakter
mehr in den Vordergrund treten wird. Ob diese Bewegung,
wie der Pan es wünscht, vor den Kunstwerken größeren
Stils, den Bildern und Skulpturen, ehrfurchtsvoll Halt
machen wird, bleibt abzuwarten.
Es ist möglich, ja mir sogar höchst wahrscheinlich,
dass die Bewegung sehr viel weiter gehen wird, dass
man schließlich die Abgrenzung gewisser Gebiete als
„Kunstgewerbe" völlig ablehnen, ja sogar dieses Wort,
das nicht älter als vierzig Jahre ist, als unbrauchbares
Schlagwort einer überwundenen Bewegung bei Seite
werfen wird. Schon jetzt giebt es viele ernsthaft zu
nehmende Männer, die lieber von „dekorativer Kunst"
sprechen und — gewiss mit vollem Rechte — fordern,
dass die Schöpfung guter ornamentaler Formen als gleich-
wortig mit der Schaffung eines Bildes oder einer Skulptur
angesehen werde. Die Architektur, besonders im Innen-
ausbau, bildet hierbei das natürliche Mittelglied. In den
Randleiste,, gezeich-
net von Juuus Diez,
Maler, München.
Pariser Ausstellungen des Champ du Mars und des
Salons, den Bing unter dem Namen l'art nouveau unter-
hält, ist dieses Prinzip der Gleichberechtigung durch-
geführt, und es klingt auch in deutschen Veröffent-
lichungen wie im Pan und in der Münchener „Jugend"
vernehmlich an.
Wenn wir die große Bewegung im Auge behalten,
die sich mit oder ohne den Willen des Einzelnen voll-
zieht, so fallen die kleinen Bedenklichkeiten über unzu-
reichende Stadträte u. dergl. in sich zusammen. Gewiss
werden die meisten von uns an dem gegenwärtigen
Sammlungsstande des Märkischen Museums ebensowenig
Freude haben, als der Pan. Aber sollen deswegen die
Sammlungen nicht einen Grundstock für eine gesündere
Bildung abgeben können? Wir haben in Hoffacker's
reizender Schöpfung, dem Alt-Berlin der Gewerbeaus-
stellung von 1896, gesehen, mit wie mäßigen Mitteln
man ein Bild altmärkischen Städtelebens hervorzaubern
kann, das alle Welt erfreut und zur Liebe für die vater-
ländische Kunst anregt. Wenn man nun in ähnlichem
Sinne, mit mehr Zeit und Mitteln ein Gebäude aufführt,
das in sich ein Monument märkischer Kunst ist, so wird
sich der Bestand der jetzigen Sammlungen unschwer als
Dekoration einordnen, und der Sammeleifer der jetzigen
Leiter, der gelegentlich arg ins Kraut geschossen ist,
wird alsdann durch alle diese Anregungen doch einen
größeren Nutzen geschaffen haben als eine pedantisch
begrenzte Thätigkeit auf engem Gebiete.
Ich habe in diesen Seiten nur einige der vielen
Fragen berührt, welche der Pan aufwirft und zum Teil
zu beantworten sucht. Da es mir nicht auf eine Polemik
ankommt, habe ich nicht immer betont, ob ich mich je-
weilig in Übereinstimmung oder Widerspruch mit dem
Pan befinde. Ich darf daher auch beanspruchen, dass
man nicht etwa alles als von mir zugegeben ansieht,
was ich nicht ausdrücklich widerlege. Im Grunde werde
ich mich immer freuen, wenn der Verfasser jenes Artikels
und ich übereinstimmen und wie bisher gemeinsam weiter
arbeiten können.
Wichtig erscheinen mir in dem Aufsatze des Pan
nur noch zwei Punkte: I) die Frage, wie weit sich die
unerlässliche Konservirung der Objekte mit einer dauernden
Ausstellung verträgt, und II) wie weit Museumsver-
waltungeu direkt. in die schöpferische Thätigkeit der
modernen Kunst eingreifen können. Für diese Punkte
hätten wir — zum mindesten für den ersten — gerade
von dem Schreiber des Pan-Aufsatzes wirkliche fach-
männische Winke erwarten dürfen. Leider erhalten
wir für Nr. I nur einige ungenaue Nachrichten und
paradoxe Ausrufe und für Nr. II unhaltbare Vorschläge,
die eine verwunderliche Ähnlichkeit mit gewissen,
allen Fachmännern längst bekannten dilettantischen Vor-
stellungen haben. Natürlich haben sie wie alle dilettan-
tischen Ideen einen gewissen Reiz, der gelegentlich eine
Gefahr in sich birgt. Sollte ich sehen, dass diese ein-
AUFGABE DER KUNSTGEWERBE-MUSEEN.
Schöpfungen verwandter Natur, mit
dem Pan von Kinderjahren und
Mannesjahren zu sprechen. Museen
sind überhaupt keine Schöpfungen,
die man nach dem Schema selbst-
ständiger, organisch wachsender Ge-
bilde klassifiziren könnte.
Alle Kunstsammlungen sind nur die
Niederschläge jeweiliger Stimmungen
undGeschmacksrichtungen. Besondere
Umstände können eine Sammlung, wie
das Grüne Gewölbe, in dem Zustande
von 1750 festnageln, aber selbst in
diesem festesten Hafen wehen die
Winde: die um 1750 an die ent-
legenen Stellen verbannten Pokale
des XVI. Jahrhunderts sind um 1870
an die sichtbarsten Stellen geschoben.
Wer von uns weiß, wie man 1970
ordnen wird?
Alle wirklich lebendigen Samm-
lungen bewegen sich fortwährend in
ihrem Bestände. Was in Berlin unter
Friedrich IL an Gemälden am wert-
vollsten galt, ist jetzt zum großen
Teil in Magazine gewandert; was
man 1820 an französischen Bildern
des königlichen Besitzes nicht für
wert hielt, in die Bildergalerie aufge-
nommen zu werden, würde jetzt einen
ihrer größesten Ruhmestitel bilden.
Die Magazine aller Museen erleben
merkwürdige Geschichten.
Die jetzt beliebte Formation gewisser Gruppen des
Kunstvorfats als „Kunstgewerbe-Museum" als etwas für
alle Zeiten Bleibendes anzusehen, wäre eine Thorheit. Die
Wahrscheinlichkeit spricht dafür, wie alle Fachmänner es
längst annehmen, dass der kulturgeschichtliche Charakter
mehr in den Vordergrund treten wird. Ob diese Bewegung,
wie der Pan es wünscht, vor den Kunstwerken größeren
Stils, den Bildern und Skulpturen, ehrfurchtsvoll Halt
machen wird, bleibt abzuwarten.
Es ist möglich, ja mir sogar höchst wahrscheinlich,
dass die Bewegung sehr viel weiter gehen wird, dass
man schließlich die Abgrenzung gewisser Gebiete als
„Kunstgewerbe" völlig ablehnen, ja sogar dieses Wort,
das nicht älter als vierzig Jahre ist, als unbrauchbares
Schlagwort einer überwundenen Bewegung bei Seite
werfen wird. Schon jetzt giebt es viele ernsthaft zu
nehmende Männer, die lieber von „dekorativer Kunst"
sprechen und — gewiss mit vollem Rechte — fordern,
dass die Schöpfung guter ornamentaler Formen als gleich-
wortig mit der Schaffung eines Bildes oder einer Skulptur
angesehen werde. Die Architektur, besonders im Innen-
ausbau, bildet hierbei das natürliche Mittelglied. In den
Randleiste,, gezeich-
net von Juuus Diez,
Maler, München.
Pariser Ausstellungen des Champ du Mars und des
Salons, den Bing unter dem Namen l'art nouveau unter-
hält, ist dieses Prinzip der Gleichberechtigung durch-
geführt, und es klingt auch in deutschen Veröffent-
lichungen wie im Pan und in der Münchener „Jugend"
vernehmlich an.
Wenn wir die große Bewegung im Auge behalten,
die sich mit oder ohne den Willen des Einzelnen voll-
zieht, so fallen die kleinen Bedenklichkeiten über unzu-
reichende Stadträte u. dergl. in sich zusammen. Gewiss
werden die meisten von uns an dem gegenwärtigen
Sammlungsstande des Märkischen Museums ebensowenig
Freude haben, als der Pan. Aber sollen deswegen die
Sammlungen nicht einen Grundstock für eine gesündere
Bildung abgeben können? Wir haben in Hoffacker's
reizender Schöpfung, dem Alt-Berlin der Gewerbeaus-
stellung von 1896, gesehen, mit wie mäßigen Mitteln
man ein Bild altmärkischen Städtelebens hervorzaubern
kann, das alle Welt erfreut und zur Liebe für die vater-
ländische Kunst anregt. Wenn man nun in ähnlichem
Sinne, mit mehr Zeit und Mitteln ein Gebäude aufführt,
das in sich ein Monument märkischer Kunst ist, so wird
sich der Bestand der jetzigen Sammlungen unschwer als
Dekoration einordnen, und der Sammeleifer der jetzigen
Leiter, der gelegentlich arg ins Kraut geschossen ist,
wird alsdann durch alle diese Anregungen doch einen
größeren Nutzen geschaffen haben als eine pedantisch
begrenzte Thätigkeit auf engem Gebiete.
Ich habe in diesen Seiten nur einige der vielen
Fragen berührt, welche der Pan aufwirft und zum Teil
zu beantworten sucht. Da es mir nicht auf eine Polemik
ankommt, habe ich nicht immer betont, ob ich mich je-
weilig in Übereinstimmung oder Widerspruch mit dem
Pan befinde. Ich darf daher auch beanspruchen, dass
man nicht etwa alles als von mir zugegeben ansieht,
was ich nicht ausdrücklich widerlege. Im Grunde werde
ich mich immer freuen, wenn der Verfasser jenes Artikels
und ich übereinstimmen und wie bisher gemeinsam weiter
arbeiten können.
Wichtig erscheinen mir in dem Aufsatze des Pan
nur noch zwei Punkte: I) die Frage, wie weit sich die
unerlässliche Konservirung der Objekte mit einer dauernden
Ausstellung verträgt, und II) wie weit Museumsver-
waltungeu direkt. in die schöpferische Thätigkeit der
modernen Kunst eingreifen können. Für diese Punkte
hätten wir — zum mindesten für den ersten — gerade
von dem Schreiber des Pan-Aufsatzes wirkliche fach-
männische Winke erwarten dürfen. Leider erhalten
wir für Nr. I nur einige ungenaue Nachrichten und
paradoxe Ausrufe und für Nr. II unhaltbare Vorschläge,
die eine verwunderliche Ähnlichkeit mit gewissen,
allen Fachmännern längst bekannten dilettantischen Vor-
stellungen haben. Natürlich haben sie wie alle dilettan-
tischen Ideen einen gewissen Reiz, der gelegentlich eine
Gefahr in sich birgt. Sollte ich sehen, dass diese ein-