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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 8.1897

DOI Artikel:
Rücklin, Rudolf: Die Seele des Materials, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4884#0118
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Kopfleiste, gezeichnet von K. RÜcklin, Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Pforzheim.

DIE SEELE DES MATERIALES.

VON B. RÜCKLIN, PFORZHEIM.

| ASS man von einer Seele des Materiales
reden kann, wird an dieser Stelle wohl
nicht erst bewiesen werden müssen.
Jeder echte Kunsthandwerker, der die
Eigentümlichkeiten des Stoffes, in dem
er vorzugsweise arbeitet, beherrschen,
seine Mängel vermeiden und seine Vorzüge lieben ge-
lernt hat, weiß, dass das Material, d. h. der künstlerisch
zu verwendende Eohstoff, ein gewisses, inneres Leben
zeigt, dass es nicht nur mit Geschicklichkeit und Er-
fahrung, sondern auch mit Empfindung behandelt sein
will, soll anders das fertige Werk die darauf ver-
wendete Mühe lohnen. Nicht die praktische und ge-
schickte Gestaltung, nicht die künstlerisch-schöne Form,
nicht die raffinirte Technik allein sind es, die einem
Erzeugnisse des Kunstgewerbes oder im weiteren Sinne
der Kunst überhaupt den dauernden, subjektiven Wert
verleihen. Das kann nur der Künstlergeist, der mit
seinem Stoffe so verwachsen ist, ihn innerlich so ver-
steht, dass er ohne Zaudern und Schwanken, ja unbe-
wusst, diejenige Formgebung und Behandlung anwendet,
welche in dem gegebenen Falle die angemessenste,
die dem Materiale natürlichste ist. Denn dieses lässt
sich wohl quälen und gewaltsam behandeln oder miss-
handeln, aber niemals durch falsche Mittel zur Entfal-
tung seiner guten Eigenschaften zwingen. Ich sage,

Kunstgewerbeblatt. N. F. VIII. H. 7.

zur Entfaltung seiner guten Eigenschaften; denn diese
liegen nicht so ohne weiteres an der Oberfläche und
nicht jedem ist das Sesam gegeben, das sie hervorlockt.
Das scheint selbstverständlich; aber die Zeit liegt noch
nicht so fern, wo der Architekt die sämtlichen Fächer
des Kunstgewerbes beherrschte, und wo man, in der
wohlmeinendsten Absicht, dem ausführenden Kunsthand-
werker kurzerhand jeden Versuch eigener Gestaltung
untersagte, auf diese Weise jede Einwirkung seines
intimen Material Verständnisses abschneidend. Auch heut-
zutage kommt es mancher kunstgewerblichen Größe
nicht darauf an, heute einen Becher, morgen ein Denk-
mal und übermorgen einen Teppich zu entwerfen,
während sie in den meisten Fällen besser daran thäte,
sich auf ihre künstlerische Heimat zu beschränken. Noch
ein anderer Gesichtspunkt ist beachtenswert: Das Schlag-
wort unseres heutigen Kunstgewerbes ist bekannt-
lich das Naturstudium. Es ist auch meine Ansicht,
dass das ein Kanal ist, um unserer künstlerischen Pro-
duktion neue Kräfte zuzuführen; aber es ist nicht der
einzige. Ich glaube, es genügt nicht, die Natur in den
äußeren Formen zu studiren, man sollte sie auch in den
Stoffen, den Materialien, die sie uns darbietet, frisch,
unbefangen, von modernem Standpunkte aus, anzuschauen
sich befleißigen. Das wäre auch ein Naturstudium.
Sonst könnten wir leicht vor lauter Natürlichkeit in

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