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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 8.1897

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Rücklin, Rudolf: Die Seele des Materials, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4884#0122
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DIE SEELE DES MATERIALES.

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sich, dass die Keramik auf die feineren und höheren
Leistungen der Plastik Verzicht leisten muss, und dass
die farbige Behandlung, die schmückende Malerei, hier
eine unvergleichlich grö-
ßere Eolle spielt, als bei
den seither betrachteten
Materialien. Deshalb tritt
das Material auffallend in
seiner natürlichen Wirkung
zurück, und das um so mehr,
je künstlerischer und präch-
tiger die Arbeit ausgeführt
und geschmückt ist. Der
Dekorationsstil des größten
Teiles der keramischen Pro-
duktion, der Fayence, des
Steingutes und des Porzel-
lans, ist fast ausschließlich
durch Malerei und Glasur
bedingt. — Einen gänzlich
verschiedenen Charakter,
trotz vielfacher, technischer
Verwandtschaft, zeigt das
Glas. Oberfläche und Struk-
tur sind absolut glatt und
gleichmäßig; daher ver-
schmäht das Glas nicht mir
jeden Überzug, es zeigt uns,
vermöge seiner Transpa-
renz, auch sein Inneres und
nähert sich damit gewissen
Steinarten, so dass es zur
Imitation derselben benutzt
werden kann. Diese Durch-
sichtigkeit ersetzt den Man-
gel einer sichtbaren Struk-
tur so sehr, dass wir das
Glas zu unsern charakter-
vollsten Materialien für die
kunstgewerbliche Verwen-
dung rechnen dürfen. Da-
bei muss freilich festgehal-
ten werden, dass die völlige

Farblosigkeit desselben
wohl ein technischer Vor-
zug, aber ein ästhetischer
Mangel ist, wie denn auch
die aus farbloser Masse ge-
gossenen Gegenstände un-
serer modernen Industrie
künstlerisch die bedeutungs-
losesten sind, wenn ihnen nicht durch Schliff, Gravirung
oder teilweise Mattirung aufgeholfen wird; dagegen kann
das unentfärbte oder gefärbte Glas auch in ganz geringer,
ordinärer Ware eine äußerst dekorative Wirkung machen.

Geschenk des Vereins der Ärzte mm 2<)<>jälirigen Jubiläum

der Universität Halle. Entworfen und in Silber getneben vom Uiseleur

Otto Rohloff, Berlin.

Ein bekanntes Beispiel hierzu bietet das Kathedralglas
gegenüber dem Fensterglase. Es ist erstaunlich, welcher
Eeichtum an Dekorationsmitteln dem Glase zur Ver-
fügung steht, von kunst-
loser Herstellung bis zu
den unbegreiflichsten Ver-
schlingungen und den fein-
sten und schärfsten Eelief-
darstellungen, von völliger
Weiße bis zur glühendsten
Farbenpracht, — ohne dass
es jemals von seinem eigent-
lichen Charakter etwas ein-
büßte. — Ein freies Kunst-
produkt der Menschenhand
ist das Gewebe. Es ist
körperlos, also lediglich
Fläche, besitzt aber eine
sehr lebhafte, charakteris-
tisch wechselnde Struktur.
Dieselbe, die sich vorwie-
gend als mechanisches Ver-
flechten und Verfilzen bieg-
samer Fäden oder Fasern
charakterisirt, bedingt eine
der wichtigsten dekorativen
Eigenschaften der Textile:
Ihre Biegsamkeit, ihre Fä-
higkeit, Falten zu schlagen.
Damit ist ihre ganz einzig-
artige Stellung im Kunst-
gewerbe wohl am kürzesten
bezeichnet. Jeder Stoff, der
getragen oder drapirt wird,
wirkt durch dreifache Schön-
heit: durch die Vorzüge
des Materiales, durch den
farbigen Keiz der Muste-
rung und endlich durch den
Faltenwurf. Das webt und
spielt und schimmert durch-
einander, taucht auf und
verschwindet wieder, zeigt
sich an jedem neuen Stand-
punkte in neuer Schönheit
und unerschöpflich reicher
Harmonie. Mehr als bei
sonstigen Kunst- oder Na-
turprodukten ist der deko-
rative Effekt vom Grund-
stoff und der Herstellungs-
weise bedingt; die verzierende Künstlerhand — wenn
nicht von vornherein die Maschine auch ihre Kolle über-
nimmt —, wird in ihrer individuellen Verschiedenheit
um so weniger erkannt, als es sich bei der Verzierung
 
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