Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 8.1897

DOI Artikel:
Minkus, Fritz: Die menschliche Figur als dekoratives Element, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4884#0208
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
182

DIE MENSCHLICHE FIGUR ALS DEKORATIVES ELEMENT.

wahrhaft Entzückendes geschaffen. Es sei liier mir auf
eines der allerreizendsten dieser naturalistisch-figürlichen
und stilisirt-pfianzliehen Ornamente verwiesen, das uns
an der großen silbernen Amphora des Hildesheimer
Silberfundes entgegentritt: abwechselnd zwei einander
zugekehrte Greifen und eine geflügelte mit menschlichen
Armen und einem Stierkopf versehene Phantasiegestalt

(ägyptischer Einfluss!) bilden den Ausgangspunkt eines
ungemein zierlichen, in schwungvollen Spiralen ge-
wundenen, stilisirten Pflanzenornaments, in dessen
Windungen graziöse Erotengestalten dargestellt sind,
wie sie nach allerlei zwischen den Ranken des Orna-
ments verstreuten Seetieren Jagd machen. (Vergl. Luthmer,
Gold und Silber, Fig. 55.) Diese anmutig lebendige
Scene fällt dadurch, dass sie durch die Linien des streng
stilisirten Pflanzenornaments ') zusammengehalten wird
und trotz ihrer Natürlichkeit mit diesem aufs innigste
verbunden ist, nicht aus dem Rahmen der reinen Orna-
mentik heraus, und das ganze Ornament kann mit Fug
und Eecht als eine der glücklichsten Lösungen betrachtet
werden, die der schwierige Vorwurf der ornamentalen
Verbindung menschlicher und pflanzlicher Formen —
ohne dass die menschliche Figur ihres ganzen Indi-
vidualismus entkleidet werden müsste — je im Ver-
laufe der ganzen Kunstgeschichte gefunden hat.

Die früh christliche Kunst, die das gesamte Kunst-
formen-Inventar der absterbenden Antike übernahm, hat
die aus figürlichen und vegetabilischen Elementen ge-
bildeten Motive der römischen Ornamentik in ihren An-
fängen häufig angewandt: so beispielsweise in den Wand-
malereien der S. Domitilla-Katakombe in Rom, wo kleine
Puttengestalten die stilisirten Weinranken beleben (vergl.
Kraus, Geschichte der christl. Kunst, Bd. I, Fig. 14);
so in den Malereien von S. Pietro e Marcellino, wo die
Darstellung des Gastmahls von drei medaillonförmigen
Darstellungen aus der biblischen Geschichte einge-
rahmt ist, zwischen welchen rein ornamentale, bedeutungs-
lose Köpfe, umgeben von vegetabilischen Motiven, an-
gebracht sind (vergl. Kraus, Fig. 59); so in dem Decken-
gemälde von S. Lucina in Rom, wo sich ebenfalls zwischen
ikonographischen Darstellungen rein ornamentale Köpfe,
aus stilisirten Pflanzen hervorwachsend und umgeben
von Guirlanden, vorfinden (vergl. Woltmann-Woerinann,
Geschichte der Malerei, Bd. I, Fig. 44); so in den
Mosaiken eines der ältesten christlichen Bauwerke, des
Mausoleums der hl. Constantia (S. Costanza in Rom), wo wir
als Einfassung biblischer Scenen einem pompösen figürlich-
pflanzlichen Ornament, weiblichen Gestalten, die aus
Akanthuslaub hervorwachsen, und von deren Haupt
wieder üppige Akantlmsranken ausgehen, begegnen, und
wo wir außerdem noch ein von Amoretten bevölkertes
Weinranken-Ornament und neben diesem ein aus Band-
verschlingungen gebildetes Ornament antreffen, in dessen
kreisförmigen Zwischenräumen neben tierischen und

Leuchter, entworfen und in Silber ausgeführt von D. Voi.lgold & Sonx,
Berlin.

1) Wenn H. Holzer in seiner Monographie „Der Hildes-
heimer antike Silberfund" 1870 auf Seite Gl bei der Schilderung
unseres Ornaments betont, dass „zwischen feinen Schling-
pflanzen des Wassers reges Leben und Treiben herrscht",
so benimmt er durch diese, übrigens völlig ungerecht-
fertigte naturalistische Auffassung des Pflanzenomaments
dieser ganzen Verbindung stilisirt-pfianzlicher und natura-
listisch-figürlicher Dekorationsweise ihren eigenartigen Reiz.
 
Annotationen