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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Museen und Volksbildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0061

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MUSEEN UND VOLKSBILDUNG

Lösung des Museumsgedankens, die nicht bloß ihre
Vortrefflichkeil für den speziellen Fall dargetan,
sondern im skandinavischen Norden bereits die Aus-
führung einer ganzen Reihe von verwandten Anlagen
nach sich gezogen hat, so in Bygdö und Frogner-
sätesen bei Kristiania, in Lund (Schweden), in Kopen-
hagen u. s. w. Hier sind in erster Linie, dem vor-
trefflichen Motto des nordischen Museums zu Stock-
holm »Kenne dich selbst« fol-
gend, alle jene Dinge zusammen-
gebracht, welche die Entstehung
und Fortbildung der eigenen
Kultur betreffen. Es sind ganze
Kirchen, eine große Reihe von
Holzbauten u. s. w. einzeln auf-
gestellt, welche im Innern ebenso
wie in der äußeren Erscheinung
das charakteristische Wesen der
landesüblichen Bauweise, den
ganzen Schmuck des Hauses
samt allem, was dazu gehört,
Trachten, Fuhrwerke u. s. w.
in lauter Originalen bewahren.
Man ging sogar, und nicht mit
Unrecht, so weit, rings um die
Gebäude die bezeichnenden Pflan-
zenerscheinungen zu setzen, nicht
bloß irgendwelche beliebigen
gärtnerischen Anlagen. Ebenso
wurde es mit den Haustieren ge-
halten. Um aber die Erinnerung
an Volksgebräuche nicht ver-
bleichen zu lassen, werden bei
festlichen Gelegenheilen dort volks-
tümliche Aufführungen zum Be-
sten gegeben, wobei Musik und
Musikinstrumente durchaus im
Rahmen der Vorführungen sich
halten. Kurzum, das ganze ist
sozusagen ein lebendes Museum,
das seinesgleichen nirgends in
außerskandinavischen Ländern hat.
In England will man das System
akzeptieren. Für London ist
solch ein Museum bereits ge-
plant. Im Krystallpalast besaß
es übrigens etwas verwandtes.

Dem Volke wird auf diese
Weise ein Spiegelbild des
eigenen Wesens gegeben; das
ist viel wichtiger als weitaus-
holende kunstgeschichtliche Be-
lehrung. Genau von derselben Wichtigkeit ist es,
wie die Kenntnis der eigenen Sprache! Was ist ein
Volk wert, das nicht seine eigene Weise in erster
Linie hochhält! Ja -- in England gilt das Wort:
»Right or wrong, but always for my country«.
Wenn dieser stolze Sinn nur auch in Deutschland
endlich einmal überall Fuß fassen wollte!

Ist irgendwo in München, in Berlin, in Frankfurt
oder Breslau, kurzum in irgend einer großen Stadt

ERNST RIEGEL, MÜNCHEN,
POKAL AUS VERGOLDETEM SILBER

auch nur der leiseste Anfang zu etwas ähnlichem
gemacht, wie zum Skansen-Museum in Stockholm?
Nirgends. Das wäre gewiß nicht weniger wichtig
als patriotische Schützen-, Sänger-, Kriegervereins-
und Turnerfeste mit den vielen Reden und den
obligaten Katzenjammern, die ja noch immer eine
conditio sine qua non aller deutschen Festlichkeiten
bilden. Einige Museen, so zum Beispiel das von
Dr. Lehmann in Altona geleitete
Provinzial-Museum, haben eine
soweit wie tunlich systematische
Zusammenstellung volkstümlicher
Kunstäußerungen erfahren und
wirken somit sicherlich weit mehr
als alle Versuche, breite Volks-
kreise mit dem Wesen und der
Empfindungswelt der vergeistigten
Kunstäußerung ohne Kenntnis der
Basis, woraus sie sich entwickeln,
bekannt zu machen. Das etwas
grobe Wort: -Was der Bauer
nicht kennt, das ißt er nicht«
ist in Beziehung auf die Kunst
erst recht wahr. Soll der Mann
des Volkes verstehen lernen, so
müßten eigentlich zuerst die
Lehrenden das Volk verstehen
lernen. So aber stehen sich vor-
erst zwei Persönlichkeiten gegen-
über, denen das wahre Verstän-
digungsmittel, das Bindeglied,fehlt.
Immer und immer hört man
von neuem das Wort von der
Notwendigkeit des Schaffens einer
Volkskunst. Eine solche ist einzig
und allein möglich, wo an be-
stimmt ererbte Traditionen ange-
knüpft oder aber die Erziehung
der Jugend andauernd so geleitet
wird, daß sie den künstlerischen
Eindruck aus der Natur zu ge-
winnen vermag. Beides kann
sich übrigens auch verbinden.
Mit ganz neuen Elementen aber,
mit einer Formensprache, die das
Volk nicht in Vergleich zu
seinem eigenen Empfinden zu
bringen in der Lage ist, wird
eine Volkskunst nie und nimmer
geschaffen werden. Alle Ver-
suche, dem dialektgewohnten
Munde plötzlich die Verfeinerung
der durchgeistigten Sprachweise beizubringen, scheitern
mit Notwendigkeit, genau aber ebenso alle Versuche,
breite Volkskreise in künstlerischen Dingen zu einem
Weitsprunge zu veranlassen. Darin wird unglaub-
lich gesündigt. Das Nächstliegende wird so leicht
übersehen, und dennoch bildet es immer und überall
das Fundament der Anschauung! Was nutzt es
dem Knaben, wenn er weiß, was im Urwald für
Pflanzen und Tiere leben, wenn ihm aber die
 
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