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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

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Jessen, Peter: Reisestudien, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0036

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ich empfehle jedem Besucher, in dem großen Kataloge
Stichproben darüber anzustellen, wie auch winzige
Einzelheiten deutscher Bibliographie dort beachtet
werden. Für die Ansprüche künstlerischer Fachbiblio-
theken habe ich auch dort nichts Wesentliches ersehen.
Dagegen denke ich mit Dank der frischen Anregungen,
die ich aus den »Freien öffentlichen« Bibliotheken von
Amerika habe mitnehmen können, diesen so unendlich
verschiedenen und doch aus gleichem Geiste genährten,
wahrhaft volksmäßigen Bildungsanstalten. Wichtig
waren mir weniger die größeren und älteren unter
ihnen trotz ihrer aufwendigen Gebäude, als vielmehr
der jüngere Typus, der sich in großen und kleinen
Abmessungen vom Osten bis zum fernsten Westen
der Vereinigten Staaten wiederholt. Das Haus meist
an weithin sichtbarer freier Stelle, gediegen und ge-
räumig gebaut; dank der klugen Carnegie-Stiftung, die
den Gemeinden unentgeltlich Bibliotheken baut, wenn
sie dazu einen schönen Platz geben und den Betrieb
sichern. Gleich hinter dem Eingang eine luftige
Halle; aus ihr ohne Türen der freie Zutritt zu den
Sälen, dem allgemeinen Lesesaal, dem Zeitungsraum,
dem Kinderlesezimmer, der Ausleihe und oft weiter
hinein bis in die Büchermagazine selber, so daß man,
ohne auch nur nach seinem Namen gefragt zu werden,
sich selbst sein Buch in den Lesesaal holen kann. Im
Lesesaal stehen die neuesten Erwerbungen aus, auch
die Literatur über augenblicklich gangbare Themata
oder überhaupt empfehlenswerte Bücher; in der leben-
sprühenden Free public library in Washington (Leiter
Bowerman) wird diese Auswahl täglich dreimal neu
aufgefüllt. Anderwärts sind wenigstens Verzeichnisse
solcher Bücher angeschlagen. Man setzt große Mittel
und Kräfte daran, um Besucher heranzuziehen; man
empfiehlt durch Postkarten selbst einzelnen Personen
das eine oder andere neue Buch aus ihrem Fache.
Man verteilt geschmackvolle Drucksachen aller Art
mit Ratschlägen, Hinweisen, Titeln. Man wendet für
diese Nutzbarmachung, die »efficiency«, bisweilen ein
Drittel der Jahresausgabe auf. Man leiht auf das Frei-
gebigste aus, man unterhält Nebenstellen in der Stadt,
man sorgt selbst für die Polizeibüros. Ein rastloser
Leiter wie J. C. Dana in der wüsten Riesenfabrikstadt
Newark unweit New York hat seine Bibliothek geradezu
zum Mittelpunkt jeglicher Kulturförderung in der Bürger-
schaft gemacht.

Das alles freilich ging über den Rahmen meiner
engeren Fachaufgabe hinaus; es muß aber jeden auf-
merksamen Freund der Volksbildung tief ergreifen.
Mir war es besonders neu und eindrucksvoll, wie
klug neben den Büchern auch das Bild als Lehrmittel
eingesetzt wird. Nirgends fehlt zunächst in den an-
mutigen Kinderzimmern das Wandbild, darunter am
beliebtesten unsere neuesten deutschen Steindrucke.
Solcher Wandschmuck oft auch in den Hallen und
sonstigen Sälen. Aber das Dauernde genügt den rastlos
Tätigen nicht. Man schafft sich Platz auch für wechselnde
Ausstellungen von Bildern aller Art, Natur, Heimat-
kunde, Geschichte und vor allem Kunst. Das Thema
stellt oft der Tag. Die Bilder werden geliehen oder ge-
hören der Bibliothek selber und werden in ihr den
Besuchern oder Entleihern, besonders Lehrern und
Lehrerinnen ausgehändigt. Solche Bildsammlung für
Anschauung aller Art fand ich am weitesten entwickelt
in Newark; dort stehen neben den Lesesälen auch
einige Säle mit Kunstwerken offen, fester Besitz oder
wechselnde Ausstellungen, eine erquickende Abwechs-
lung für die Leser. Diese Sehnsucht nach anschau-
licher Bildung, die Fürsorge für das Auge, die offen-
sichtliche Freude an der Kunst schien mir ein sehr
beherzigenswerter Zug des amerikanischen Bildungs-
wesens, dem wir ernst nachsinnen sollten. Wir werden
auch nach dem Kriege in Amerika mancherlei zu holen
haben, mehr als irgendwo sonst im Ausland. Nicht
nur Einzelheiten, sondern vor allem die jugendliche
Auffassung aller zeitgemäßen Aufgaben. Trotz der
üblen Erfahrung während des Krieges verzweifle ich
nicht daran, daß wir uns mit den einsichtigen Ameri-
kanern verständigen werden. Wer Deutschland kannte,
sprach mir von ihm mit Achtung und Bewunderung.
Aber leider kannten es nur wenige. Das neue Deutsch-
land tritt drüben so selten auf. Wir brauchen ja gottlob
heutzutage keine Auswanderer mehr zu schicken. Um
so mehr aber sollten wir Vertreter unserer jungen natio-
nalen Arbeit abordnen, die, der heimischen Leistungen
und Werte stolz bewußt, das Brauchbare der Fremde
aufzufassen und auszunutzen wissen. Meine Erfahrung
in den Museen und Bibliotheken läßt mich wünschen,
daß es auch nach dem Kriege nicht an Willen und
Mitteln dazu fehlen werde. Es ist die beste Propa-
ganda für deutsche Weltgeltung.

PETER JESSEN.

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