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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Jessen, Peter: Reisestudien, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0058

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Marblehead (Mass.), Rogers Mansion, um 1803

Stühle aus Privatbesitz

die kleineren Zutaten am Äußeren. Längs der Straße
dicht vor den Häusern, als Abschluß der Haus-
gärten, die sich nach hinten tief dehnen und noch
heute manche malerische alte Laube und volks-
tümlichen Blumenschmuck enthalten, ziehen sich
hölzerne Gitter hin, weiß gestrichen, mannigfach
gemustert, auf den Pfosten gern Kugeln oder zier-
liche Vasen, alles bestes Zimmermanns- und Schnitz-
werk. An den Haustüren glatte Messingklopfer und
-griffe, die älteren vielleicht englisches Ausfuhrgut,
die jüngeren im Lande gegossen, Muster mann-
hafter Sachkunst, Dinge, die wir uns heute erst mit
Mühe haben wieder erobern müssen. Selbst die
Haken und Riegel der Fensterläden lassen den
Formwillen des gestaltenden Handwerkers spüren.
Aus eigensten Werkstätten des Ortes, etwas ganz
Unscheinbares und Gleichgültiges, das ich noch
nirgend so lustig ausgebildet fand wie hier: die
Fußkratzer aus Schmiedeeisen in verschiedenster
Gestalt, vom Meister Schmied jeder einzeln in eine
besondere, echt werkmäßige Form gebracht, Kinder
der einstigen frohen Handwerkslaune, wie sie auch das Innere der Häuser durchflutet. Da wird die Kratz-
fläche gefällig ausgebogen; da rollen sich ihre Seitenstützen zu munteren Voluten auf; da wölbt sich darüber
ein Bogen, glatt oder mit allerhand Verästelungen; da wird das kleine Gerät in das Gitter selbst hineinbezogen;
es ist der Freude am Neuen, Wechselnden und doch Selbstverständlichen kein Ende. Sicherlich keine Import-
ware, sondern echtestes Ergebnis kolonialen Eigenwillens.

Von diesen Arbeiten, auch von dem scheinbar Nebensächlichen, habe ich ergiebige Photographien heim-
bringen können, dank der rührenden Kunstfreude eines ehrwürdigen Bürgers von Salem, der es sich zur
Lebensaufgabe gesetzt hat, die Bilder seiner Vaterstadt und verwandter Kunststätten festzuhalten und zu ver-
breiten. Mr. Frank Cousins ist bis vor wenigen Jahren von Beruf Kaufmann und Ladeninhaber gewesen
und hat nur nebenher aufgenommen, was an Bau- und Handwerkskunst ihm erreichbar war. Statt sich zur
Ruhe zu setzen, hat er an seinem Lebensabend sein Atelier zu einem Berufsbetriebe erweitert und trägt nun
selber mit ergreifender Begeisterung die Ergebnisse seiner Beobachtungen den Architekten und Kunstfreunden
ins Haus. Man sagte mir, daß kaum ein anderer Mann soviel zum Ruhm und Heil der alten Kunst seiner
Heimat getan habe, wie dieser anspruchslose, charaktervolle Kunstfreund. Einem Teil unserer Abbildungen
liegen Aufnahmen seiner Kamera zugrunde.

Ich habe Salem als das besterhaltene Ganze vorangestellt. Einzelne Häuser, auch in größeren Gruppen
bewahrt, gibt es in anderen nördlichen Ortschaften wie Concord (Massachusetts), Portsmouth, der alten Haupt-
stadt von New Hampshire, in mehreren Orten des Staates Connecticut u. a. In Boston selbst hat man das
einfache Haus des aus den Unabhängigkeitskämpfen bekannten Paul Revere ehrfurchtsvoll erhalten; aus
klassizistischer Zeit stehen noch einzelne sorg-
fältig gegliederte Reihenhäuser mit wohlgepflegten
alten Räumen; stattliche Landhäuser der vor-
nehmen Bostoner des 18. Jahrhunderts werden
als geschichtliche oder künstlerische Denkmäler
im nahen Cambridge verehrt, in dem auch die
jüngeren hölzernen Professorenhäuser in ihren
stillen Gärtchen noch den Hauch altertümlicher
Gelehrsamkeit zu atmen scheinen. Rücksichtsloser
hat die neue Zeit in dem alten New York auf-
geräumt. Dort muß man die spärlichen Reste in
der heutigen Stadt, zum Teil einst Herrensitze in
freier Landschaft, sich mühsam aufsuchen; selbst
die vornehmen Bürgerhäuser aus dem zweiten
Drittel des 19. Jahrhunderts, wie sie noch die Gegend
des Washington Square zieren, sind dem baldigen
Untergange geweiht. Als Typus hat sich in New
York das Haus mit aufgetrepptem Brückenzugang
und Sockelgeschoß ausgebildet, in dem noch heute
neben der Küche in dem niedrigen Speisezimmer

manche wohlhabende Familie ZU tafeln pflegt. In Salem (Mass.) Hauseingang mit schmiedeeisernem Geländer

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