Kunst der geschäftlichen Gebrauchsgraphik, unter der
das gesamte Feld des Plakats, des Inserats und der
künstlerischen Reklame zu verstehen ist. —
Alle Illustration ist angewandte Kunst, eine Über-
tragung literarischer, erzählender Gedanken in sicht-
baren Ausdruck. Was hier freilich übertragen werden
muß, ist außer dem rein Tatsächlichen und Stofflichen,
das in dieser Übersetzung keineswegs das Künstlerische
als solches mit sich führt, die eigenartige Stimmung,
dieindividuelle »Stimmungsimpression« desliterarischen
Kunstwerks, um diesen von Broder Christiansen einge-
führten ästhetischen Begriff zu gebrauchen.1) Preetorius'
besondere Geistigkeit als Mensch und als Künstler
kommt nun vor allem der humoristischen Literatur in
höherem Sinn entgegen, jenen Werken, die, auf Grund
einer reichen Lebenserfahrung und einer vertieften
Weltanschauung, das ganze irdische Getriebe mit einem
göttlichen Lächeln betrachten. Es ist die Seelenhaltung,
die bereits oben von uns als »romantische Ironie«
gekennzeichnet wurde, und die auch den Wesenszug
all der von Preetorius bevorzugten Dichter, alter wie
neuer, ausmacht: Chamisso, Claude Tillier, Eichendorff,
Niebergall, Jean Paul, Friedrich Freksa. Das Lachen
unter Tränen ist in der Tat die Eigenart der roman-
tischen Zeit und hat seinen vielgestaltigen Ausdruck
gefunden von dem harmlos fröhlichen Gedicht Eichen-
dorffs an, das die ganze Welt im Sonnenschein liegen
sieht, bis zu der blutigen Groteske Christian Dietrich
Grabbes und der phantastischen Ironie eines Chamisso
und E. Th. A. Hoffmann.
Diese Betrachtungsweise der Schöpfung, ihrer
Menschen und Dinge »mit einem heitern, einem
nassen Auge«, muß der romantische Illustrator —
und Emil Preetorius ist natürlich auch solch ein »heim-
licher Romantiker« — gleichfalls besitzen. Von seiner
Vorliebe für die Silhouettendarstellung, wie sie sich z.B.
reizend in der Armesünder-Prozession aus den Voll-
bildern zu Jean Pauls phantastischem Luftschiffer-Roman
»Giannozzo« zeigt, wurde einleitungsweise schon ge-
redet. Aber gleich dem grauen Männchen aus dem
»Peter Schlemihl«, hat Preetorius überhaupt eine Lieb-
haberei für Schatten aller Art und besonders jeder
Größe, wie dies ein Inserat für die Zeitschrift »Licht
und Schatten« beweist, wo kleine Figürchen auf dem
leeren Grund des Blattrechtecks stehen, durch das sich
ihre gigantischen Schlagschatten hinziehen. — Bei alle-
dem herrscht bei unserem Künstler keine Spintisiererei
vor, keinerlei bloß literarische Phantastik, sondern
spontan schöpferische Phantasie, d. h. konkretes bildend-
künstlerisches Gemüts- und Augenerlebnis, also Phan-
lasie in dem Sinne, wie sie gelegentlich von Max
Liebermann definiert wird: »Ich verstehe unter Phan-
tasie den belebenden Geist des Künstlers, der sich
hinter jedem Strich seines Werkes verbirgt.«2)
Da es, wie gesagt, bei dem humoristischen Illustra-
tor auf das spezifisch humoristische Sehen ankommt,
fragt es sich, wie sich dieses Sehen von dem normalen
Sehen unterscheidet. Doch gibt es überhaupt, in der
praktischen Wirklichkeit und in der Kunst, ein solches
»normales Sehen«? — Heinrich Wölfflin hat gerade
jetzt1) in seiner großgügig typisierenden Weise aus
dieser optisch verschiedenartigen Weltauffassung ein
ganzes System des plastischen, vor allem auf dem
Tastvermögen beruhenden Stils einerseits, des maleri-
schen, vor allem auf dem Sehvermögen im engeren Sinn
beruhenden Stils andererseits mit allen seinen feinen
Zwischenstufen entwickelt. — Doch lassen sich neben
solchen rein ästhetischen auch ethische Kategorien
der Anschauung unterscheiden, woraus sich dann die
eigentümliche OesatntsWmmung des Kunstwerks er-
gibt, die einen bald als »idyllisch« oder »romantisch«,
als »komisch« oder »tragisch«, als >alltäglich« oder
»erhaben« ansprechen wird. —
Der moderne französische Philosoph Henri Berg-
son hat die Definition des Komischen darin gesucht,
daß das Lebendige, Natürliche in ein mechanisches
Schema eingezwängt wird:2) »Du mecanique plaque
sur du vivant.« Darauf beruht die komische Wirkung
der willkürlichen Größenübertreibung, das Bizarre der
stereotypen Wiederholung gleicher Motive, das Gro-
teske »steifer« Bewegung, Haltung usw. — Von allen
diesen Möglichkeiten komischer Ästhetik hat Emil
Preetorius reichlichen Gebrauch gemacht: Da gibt es
die üblichen Größenübertreibungen und -kontraste
dicker, kurzer und langer hagerer Gestalten (Freksas
»Phosphor«, »Die drei Kavaliere«, Alphonse Daudets
»Tartarin de Tarascon«), groteske Umformungen, die
sich bis auf Einzelheiten des Kostüms: das schlen-
kerig flatternde Hosenbein ä Ia patte d'elefant, den
mit seltsamem Eigenleben erfüllten Glacehandschuh,
beides Lieblingsmotive unseres Künstlers, erstrecken. —
Wir finden ferner zur Grimasse erstarrte grinsende
oder verblüffte Gesichter (Buchtitel zu Ettlingers
Humoresken »In Freiheit dressiert«, und zu »Die
Ilaliener, wie sie über ihre neuen Freunde, über die
Deutschen und sich selber urteilen«, Plakate des
Darmstädter Orpheum und »Zum großen Wurstel« mit
Negerclown und Bajazzo. Wir sehen zu unlösbarem
Knäuel verflochtene Gestalten (Buchtitel zu »Unsere
Feinde, wie sie einander lieben«) oder die stets komisch
so wirksame Hetzjagd vieler Menschen in gleicher
Reihe hintereinander, nach dem berühmten Märchen-
rezept von »Schwan, kleb' an«, das Preetorius besonders
in den reizenden Kapitelvignetten zum »Tartarin«
häufig verwendet. —
1) Broder Christiansen: Philosophie der Kunst. Hanau
1909.
2) Max Liebermann: Die Phantasie in der Malerei.
Berlin 1916.
1) Heinrich Wölfflin: Kunstgeschichtliche Grundbe-
griffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren
Kunst. München 1915. S. 237. »Der Inhalt der Welt kri-
stallisiert sich für die Anschauung nicht in einer gleich-
bleibenden Form. Die Anschauung ist nicht ein Spiegel,
derimmerderselbe bleibt, sondern eine lebendige Auffassungs-
kraft, die ihre eigene innere Geschichte hat und durch viele
Stufen durchgegangen ist«.
2) Henri Bergson: Le Rire. Essai sur la signification
du comique. Deutsch im Verlag Eugen Diederichs.Jena 1914.
Etwas verschwommener drückt denselben Gedanken die
populäre Ästhetik aus, wenn sie auf die Frage, warum etwas
lächerlich ist, antwortet: Weil irgend etwas im Mißver-
hältnis zu der Norm steht, die wir davon in unserer Vor-
stellung haben. —
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das gesamte Feld des Plakats, des Inserats und der
künstlerischen Reklame zu verstehen ist. —
Alle Illustration ist angewandte Kunst, eine Über-
tragung literarischer, erzählender Gedanken in sicht-
baren Ausdruck. Was hier freilich übertragen werden
muß, ist außer dem rein Tatsächlichen und Stofflichen,
das in dieser Übersetzung keineswegs das Künstlerische
als solches mit sich führt, die eigenartige Stimmung,
dieindividuelle »Stimmungsimpression« desliterarischen
Kunstwerks, um diesen von Broder Christiansen einge-
führten ästhetischen Begriff zu gebrauchen.1) Preetorius'
besondere Geistigkeit als Mensch und als Künstler
kommt nun vor allem der humoristischen Literatur in
höherem Sinn entgegen, jenen Werken, die, auf Grund
einer reichen Lebenserfahrung und einer vertieften
Weltanschauung, das ganze irdische Getriebe mit einem
göttlichen Lächeln betrachten. Es ist die Seelenhaltung,
die bereits oben von uns als »romantische Ironie«
gekennzeichnet wurde, und die auch den Wesenszug
all der von Preetorius bevorzugten Dichter, alter wie
neuer, ausmacht: Chamisso, Claude Tillier, Eichendorff,
Niebergall, Jean Paul, Friedrich Freksa. Das Lachen
unter Tränen ist in der Tat die Eigenart der roman-
tischen Zeit und hat seinen vielgestaltigen Ausdruck
gefunden von dem harmlos fröhlichen Gedicht Eichen-
dorffs an, das die ganze Welt im Sonnenschein liegen
sieht, bis zu der blutigen Groteske Christian Dietrich
Grabbes und der phantastischen Ironie eines Chamisso
und E. Th. A. Hoffmann.
Diese Betrachtungsweise der Schöpfung, ihrer
Menschen und Dinge »mit einem heitern, einem
nassen Auge«, muß der romantische Illustrator —
und Emil Preetorius ist natürlich auch solch ein »heim-
licher Romantiker« — gleichfalls besitzen. Von seiner
Vorliebe für die Silhouettendarstellung, wie sie sich z.B.
reizend in der Armesünder-Prozession aus den Voll-
bildern zu Jean Pauls phantastischem Luftschiffer-Roman
»Giannozzo« zeigt, wurde einleitungsweise schon ge-
redet. Aber gleich dem grauen Männchen aus dem
»Peter Schlemihl«, hat Preetorius überhaupt eine Lieb-
haberei für Schatten aller Art und besonders jeder
Größe, wie dies ein Inserat für die Zeitschrift »Licht
und Schatten« beweist, wo kleine Figürchen auf dem
leeren Grund des Blattrechtecks stehen, durch das sich
ihre gigantischen Schlagschatten hinziehen. — Bei alle-
dem herrscht bei unserem Künstler keine Spintisiererei
vor, keinerlei bloß literarische Phantastik, sondern
spontan schöpferische Phantasie, d. h. konkretes bildend-
künstlerisches Gemüts- und Augenerlebnis, also Phan-
lasie in dem Sinne, wie sie gelegentlich von Max
Liebermann definiert wird: »Ich verstehe unter Phan-
tasie den belebenden Geist des Künstlers, der sich
hinter jedem Strich seines Werkes verbirgt.«2)
Da es, wie gesagt, bei dem humoristischen Illustra-
tor auf das spezifisch humoristische Sehen ankommt,
fragt es sich, wie sich dieses Sehen von dem normalen
Sehen unterscheidet. Doch gibt es überhaupt, in der
praktischen Wirklichkeit und in der Kunst, ein solches
»normales Sehen«? — Heinrich Wölfflin hat gerade
jetzt1) in seiner großgügig typisierenden Weise aus
dieser optisch verschiedenartigen Weltauffassung ein
ganzes System des plastischen, vor allem auf dem
Tastvermögen beruhenden Stils einerseits, des maleri-
schen, vor allem auf dem Sehvermögen im engeren Sinn
beruhenden Stils andererseits mit allen seinen feinen
Zwischenstufen entwickelt. — Doch lassen sich neben
solchen rein ästhetischen auch ethische Kategorien
der Anschauung unterscheiden, woraus sich dann die
eigentümliche OesatntsWmmung des Kunstwerks er-
gibt, die einen bald als »idyllisch« oder »romantisch«,
als »komisch« oder »tragisch«, als >alltäglich« oder
»erhaben« ansprechen wird. —
Der moderne französische Philosoph Henri Berg-
son hat die Definition des Komischen darin gesucht,
daß das Lebendige, Natürliche in ein mechanisches
Schema eingezwängt wird:2) »Du mecanique plaque
sur du vivant.« Darauf beruht die komische Wirkung
der willkürlichen Größenübertreibung, das Bizarre der
stereotypen Wiederholung gleicher Motive, das Gro-
teske »steifer« Bewegung, Haltung usw. — Von allen
diesen Möglichkeiten komischer Ästhetik hat Emil
Preetorius reichlichen Gebrauch gemacht: Da gibt es
die üblichen Größenübertreibungen und -kontraste
dicker, kurzer und langer hagerer Gestalten (Freksas
»Phosphor«, »Die drei Kavaliere«, Alphonse Daudets
»Tartarin de Tarascon«), groteske Umformungen, die
sich bis auf Einzelheiten des Kostüms: das schlen-
kerig flatternde Hosenbein ä Ia patte d'elefant, den
mit seltsamem Eigenleben erfüllten Glacehandschuh,
beides Lieblingsmotive unseres Künstlers, erstrecken. —
Wir finden ferner zur Grimasse erstarrte grinsende
oder verblüffte Gesichter (Buchtitel zu Ettlingers
Humoresken »In Freiheit dressiert«, und zu »Die
Ilaliener, wie sie über ihre neuen Freunde, über die
Deutschen und sich selber urteilen«, Plakate des
Darmstädter Orpheum und »Zum großen Wurstel« mit
Negerclown und Bajazzo. Wir sehen zu unlösbarem
Knäuel verflochtene Gestalten (Buchtitel zu »Unsere
Feinde, wie sie einander lieben«) oder die stets komisch
so wirksame Hetzjagd vieler Menschen in gleicher
Reihe hintereinander, nach dem berühmten Märchen-
rezept von »Schwan, kleb' an«, das Preetorius besonders
in den reizenden Kapitelvignetten zum »Tartarin«
häufig verwendet. —
1) Broder Christiansen: Philosophie der Kunst. Hanau
1909.
2) Max Liebermann: Die Phantasie in der Malerei.
Berlin 1916.
1) Heinrich Wölfflin: Kunstgeschichtliche Grundbe-
griffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren
Kunst. München 1915. S. 237. »Der Inhalt der Welt kri-
stallisiert sich für die Anschauung nicht in einer gleich-
bleibenden Form. Die Anschauung ist nicht ein Spiegel,
derimmerderselbe bleibt, sondern eine lebendige Auffassungs-
kraft, die ihre eigene innere Geschichte hat und durch viele
Stufen durchgegangen ist«.
2) Henri Bergson: Le Rire. Essai sur la signification
du comique. Deutsch im Verlag Eugen Diederichs.Jena 1914.
Etwas verschwommener drückt denselben Gedanken die
populäre Ästhetik aus, wenn sie auf die Frage, warum etwas
lächerlich ist, antwortet: Weil irgend etwas im Mißver-
hältnis zu der Norm steht, die wir davon in unserer Vor-
stellung haben. —
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