Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI article:
Jessen, Peter: Reisestudien, [4]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0099

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Im Kryptomerienhain

liehen Arbeitsmitteln und unverfälschten Zweckansprüchen gemäß,
so wie alles wahrhaft Dauernde im Großen und Kleinen der
Werkkunst. Ich bin weiterhin nie müde geworden, dem Bauer
zuzusehen bei seiner Feldarbeit, wie er das Wasser um und
über seine oft winzigen Felder leitet, die gartenartig jeden
Winkel des Landes bis in die kahlen Sanddünen hinein be-
decken, wie er sein hölzernes Schöpfrad am Graben tritt, seine
Geräte und Ernten schleppt. Es ist, als reise Hokusai mit uns
bei jeder Fahrt ins Land. Die kleine Hütte ist in Sommerzeiten
völlig durchsichtig, zwar ärmlich, aber sauber; selten fehlt der
anspruchslose Schmuck einer Blume oder eines Laubzweiges.
Noch ist der Bauer der Kernstand des Landes, die Wurzel
seiner Kraft.

Landmäßig ist auch ein guter Teil der städtischen Lebens-
weise geblieben. Unter den Fenstern meines Gastzimmers in
Kioto lag eine kleine Gärtnerei; das Wohnhaus vom Morgen-
grauen bis tief in die Nacht hinein nach allen Seiten offen,
darin die Frau und die Töchter äußerst leicht bekleidet, die
Kinder an heißen Tagen ohne jede Hülle, der Mann schon um
vier Uhr früh im Arbeitskittel emsig vor seinen Gemüsen, Blumen,
Topfbäumchen, nach Feierabend im stattlichen Kimono beschau-
lich durch sein wohlgepflegtes Reich wandelnd, seines Werkes
und Besitzes froh und stolz, ein Urbild genügsamen Lebens-
friedens. Die Stimmung dieses Idylls hat den hastenden
Europäer da droben im Hotel oft wohltätig beruhigt in der
Ungeduld der Reisegeschäfte. Ich habe ihn nie in einem Hut
oder auch nur einem Stirntuche gesehen, diesen kahlen Bronze-
kopf mit den markigen Zügen einer altjapanischen Bildstatue, und liebte ihn eben deshalb. Denn die
Kopfbedeckung ist heutzutage das Schmerzenskind der Nationaltracht. Die Alten pflegten ja barhäuptig zu gehen,
die Reichen durch ihre Sänfte oder die von Dienern getragenen Baldachine und Riesenschirme gegen Sonne
und Regen geschützt, der Mittelstand unter seinem bunten Ölpapierschirm, nur der Bauer im Strohhut und
der Arbeiter im flüchtig umgeknoteten Tuch. Die europäische Mode hat sich am übelsten in den Hüten aus-
gesprochen, gleich widrig und stillos in den steifen schwarzen »Melonen«, im Panama und in den neuerdings
beliebten, ordinären Sport- und Reisekappen. Der kunsfgebildete Japaner empfindet den greulichen Widerspruch,
aber noch findet er nicht den Mut, eine japanische Hutform wiederaufzunehmen und auszubilden, etwa die kleid-
same gewölbte Form, wie sie heute nur die Rikschaführer tragen; ich erregte in einem Kreise von Japanern
lächelndes Kopfschütteln durch solche Anregung, obwohl einzelne Verständige mir zustimmten. Auch die
Beschuhung beschäftigt die Nachdenkenden. So absonderlich dem Europäer auf den ersten Blick die Sitte
scheint, sich im Hause nur barfüßig oder in den kurzen Socken zu bewegen, so bald lernt er die Sauberkeit der
Fußböden schätzen und es wie eine Barbarei empfinden, den Straßenschmutz an den Stiefeln auf die Matten

oder Teppiche zu tragen. Man lernt die wunder-
bare Fertigkeit bewundern, mit der Mann und
Frau und Kind drüben die brettgestelzten
Holzsandalen zwischen die Zehen zu klemmen
und auf ihnen treppauf und treppab und über
die holprigsten Bergpfade und breitesten Bäche
zu steigen, zu laufen und zu springen wissen.
Daher der unverdorbene Wuchs und die Ge-
lenkigkeit der Zehen, die ich bei so manchem
Handwerker auch während seiner Arbeit be-
staunt habe. Mit der europäischen Tracht ist leider
auch der Lederstiefel gekommen, für die Straße
unvergleichlich zweckmäßiger, sobald er den
japanischen Sonderzwecken angepaßt würde: aber
auch dazu ist kaum der erste Versuch gemacht.
Die Bekleidung selber hat mich im ganzen
weniger enttäuscht, als ich erwartet hatte. , Wir
wissen, daß die Soldaten den westlichen, zweck-
mäßig umgebildeten Schnitt tragen, daß an dem
bisherigen Hofe europäische Tracht vorgeschrieben
ist, und daß im Geschäftsleben, in den Ministerien

12*
79 —

Häuschen am Wasser
 
Annotationen