Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI article:
Jessen, Peter: Reisestudien, [5]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0128

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Eingang zum Schlosse Nijo in Kioto

heiligen Parkbezirken von Nara und unter den
himmelstrebenden Kryptomerien von Nikko ein
unvergleichlicher Hochklang großzügiger Natur-
kunst das Starke der Baukunst hebt und das
Kleinliche mindert, das wird man nicht müde
zu bewundern und als ernste Lehre zu würdigen.
Packende Überraschungen erlebt man auch weit
draußen. Hier am Berghang ein Strohdach, wie ein
flüchtiger Wetterschutz für einen weltberühmten
Aussichtspunkt und doch nichts weiter als eine
arme Bauernhütte, aus Not hier angeklebt. Dort
in dichtem Grün ein verwittertes Tempelchen,
den alten Ahnengöttern geweiht, wie ein Stück
der Natur an diesem Platze gewachsen, untrennbar
von seiner Gestalt und seiner Stimmung.

Die Grundlage für diese Harmonie bildet die
durchgängige Einheit des Baustoffes und der Bau-
weise. Über die Bauten der Japaner hat ein lang-
jähriger, treuer Beobachter, Regierungs- und
Baurat F. Baltzer, uns zwei gediegene Studien
geschenkt, über das japanische Haus (1903) und
über die Architektur der Kultbauten Japans (1907). Es wäre gerade an der Zeit gewesen, sie durch weitere planmäßige
Untersuchungen und Aufnahmen in den einzelnen Landschaften zu ergänzen, eine Absicht, die ich mit deutschen
Fachleuten drüben erwogen und als ein Geschenk deutscher Wissenschaft an das Japan vor dem Kriege erträumt habe.
Besonders die Wohnhäuser in Stadt und Land, die durch Erdbeben und Feuer täglich gefährdet sind,
hätten solche Fürsorge verdient. Noch halten Bauer und Bürger an der altheimischen Bauweise fest. Zwar
war eben ein riesiges Palais in einem der französischen Königsstile für einen Prinzen fertig geworden, und
der Generalgouverneur von Korea, der jetzige Ministerpräsident Terautschi, ließ sich für Söul einen europäischen
Regierungspalast zeichnen. Aber die Hütten, die ich betrat, die Gasthäuser alten Stils, die Wohnungen meiner
japanischen Freunde und alles, was ich an vornehmen Häusern sah, waren bei allem Unterschied der An-
sprüche doch im Kern aus einem Geiste. Das Gefüge der Holzbalken, am liebsten aus edlem Zedernholz
und unbemalt in der schönen Maserung und zarten Naturfarbe, auf Pfählen über dem Erdboden erhöht,
gediegen gefügt mit Dübeln, Zapfen und werkgerechten Verbindungen, über die uns viele alte Zimmermanns-
bücher unterrichten. Die Anlage des Ganzen nicht nach der Straße gekehrt, sondern nach rückwärts gegen
den größeren oder kleineren Garten mit seinen feinen Reizen. Luftige Umgänge rings längs der beweglichen
Fensterwände mit ihren milden Papierscheiben. Innen zwischen Schiebewänden die lichten, gleichartigen
Räume, nicht nach Zwecken gegliedert, denn man wohnt und schläft bekanntlich in demselben Zimmer, aber
von wechselnder Größe, die man nach der Zahl der Fußmatten berechnet. Gewisse Unterschiede des Äußeren
in den verschiedenen Landschaften, besonders an den Reihenhäusern der Geschäftsstraßen mit ihren offenen
Läden und Werkstätten. Die ganze Wohnbaukunst eine Meisterleistung völkischer Gestaltungskraft, in tausend-
jährigem Fortschritt entwickelt und bewährt.

Wie von der Bauernhütte zum Bürgerhaus,
so ist auch vom Wohnhaus zum Kaiserpalast nur
ein Schritt. Nur die Abmessungen sind statt-
licher, die Materialien edler, die gemalten Deko-
rationen von größter Pracht. Den Wohnzimmern
sind geräumige Empfangssäle vorgelagert, aber
auch sie unterscheiden sich nicht grundsätzlich.
So der leider infolge eines Brandes erneuerte
Palast des Mikados in Kioto, so das herrliche
Schloß der einstigen Schogune daselbst, so die
für kaiserliche Prinzen bestimmten Staatsräume
des Klosters der westlichen Honganjisekte in
Kioto. Sie alle tragen auf den Wänden die groß-
zügigen Malereien der Tokugawazeit in der
kühnen Pinselführung, Naturauffassung und
Farbengebung bedeutender Meister, Landschaften,
Bäume, Blumen, Tiere, Beobachtetes und Ge-
träumtes, voll sieghaften, selbstsicheren dekora-
tiven Gefühls. Gleich meisterlich die Schnitzereien
der durchbrochenen oder geschlossenen Füllungen, Audienzhalle im Honganjitempei zu Kioto

102
 
Annotationen