Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Jessen, Peter: Reisestudien, [5]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0129

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Schloß zu Osaka

der Bronzebeschlag der Schiebewände, das Ge-
flecht der textilen Verschlußbänder. Ein wahrhaft
fürstlicher Hintergrund für ein Hofleben, dessen
Formen- und Farbenreife in der Geschichte der
künstlerischen Kultur kaum seinesgleichen hat.

Leider hat von dieser Kultur aus den damals
herrschenden Kreisen des hohen Adels, der Teil-
fürsten, fast nichts die Verheerungen des Um-
sturzes von 1870 überdauert. Von der einstigen
Pracht der Daimioschlösser in ihren Landsitzen
und in den Hauptstädten ist so gut wie nichts
übrig. Nur von der äußeren Anlage und den
Wehrbauten geben vereinzelte Reste alter Kastelle
noch starke Kunde, die Umwehrungen der Kaiser-
residenz in Tokio, das Kastell zu Osaka, die
Schlösser in Himeioschi, Kumamoto u. a. Ich
habe in Nagoya auch an dem Wehrbau des alten
Japan den restlosen Ausgleich harter Zweck-
strebigkeit und schwungvollen Formenwillens
bewundert; wir dachten dort der Festungsbauten
unseres Albrecht Dürer, denn nur unser Bestes

besteht bei dem Vergleich. Wie die vielgeschossigen Wehrtürme mit den geschweiften Ziegeldächern, so
pflegen besonders die Tore, einst nach Rang und Würden abgestuft, Meisterwerke des Zweckes, der Kon-
struktion und der Form zu bilden. Und die geneigten, steinbewehrten Wälle hinter den schnurgeraden
Gräben vermitteln auch bei diesen ernsten Nutzbauten die Harmonie mit der umgebenden Natur.

Auch die Gartenkunst der Japaner lernt man erst im Lande würdigen, als ein Ergebnis tiefen, fast gläubigen
Naturgefühls, nicht als eine kokette Spielerei, wie sie nach gelegentlichen Nachahmungen japanischer Haus-
gärtchen in Europa erscheinen mag. Diese Hausgärten mit ihren Zwerganlagen, den künstlich verkrüppelten
Bäumchen, den zierlich ausgelegten Schrittsteinen und all dem noch so anmutigen Beiwerk der Steinlaternen,
Schöpfbrunnen, schönen Steinblöcke und wechselnden Blütenpracht, die vom Winter nur kurz unterbrochen
wird, sind doch nur kleinliche Ausstrahlungen des machtvollen Naturempfindens und Gestaltungswillens, der
die weiten, stillen Bezirke um die Tempel zu Stätten einzigartiger Gartenkunst macht. Sie sind nicht allein
Plätze für andachtsvolle Träume, verklärt durch weltfremden Frieden, durchtönt hier und da von dem tiefen
Dröhnen einer uralten Bronzeglocke (ich denke vor allen der Stunden in Enkakuji bei Kamakura), sondern
sie sind Meisterwerke halb unbewußter Formarbeit ganzer Geschlechter, unterstützt durch eine wunderbar
architektonische, immergrüne Vegetation und die zahllosen Möglichkeiten stetig wechselnden Geländes. Wie
die angeborenen Neigungen und Fähigkeiten der Japaner durch chinesische Anregungen bereichert und ver-
feinert worden sind, lehren die Beispiele alter Kunstgärten, wie der vielgestaltige Park einer alten Daimio-
residenz bei dem heutigen Arsenal in Tokio. Wer durch das Land wandert, wird selbst an Hecken und
Zäunen längs der Wege diesen Geist rege finden. Zu den stärksten Eindrücken zähle ich auch, was ich an

Friedhöfen gesehen habe. Ein und derselbe Bau-
stoff, der Stein in allen Stufen malerischer Ver-
witterung, eine und dieselbe Gesinnung zurück-
haltender Würde; eng umzirkt auch der Formen-
kreis der meist stereometrischen Male. Zu einer
nationalen Andachtstätte ist der Friedhof der
achtund vierzig getreuen Ronin in Tokio geworden,
die sich opferten, um den Tod ihres Herrn zu
sühnen; noch sind die Belegstücke ihrer Taten
wie Reliquien museumartig zur Schau gestellt,
und ihre Ruhestätte daneben mit den edlen,
gleichförmigen Denksteinen ist das Muster eines
Heldenfriedhofes.

In der Tempelkunst Japans findet man sich
ohne vorgängige Studien nicht leicht zurecht. Der
Tempel wird teils aus Not, teils aus Gewohnheit
von Zeit zu Zeit erneuert, oft vom Sockel bis
zum First, vermeintlich wortgetreu in allen Einzel-
heiten, in Wahrheit doch mit leisen, unscheinbaren
Änderungen, die nach und nach das Ursprüngliche
saai im Honganji-Kioster in Kioto verwischen. Nur weniges steht in seiner ersten

— 103
 
Annotationen