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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Jessen, Peter: Reisestudien, [7]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0196

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Chinesenfrau

findet in einem eleganten japanischen Bahnhofshotel alle europäischen
Bequemlichkeiten. Bekanntlich ist die Hauptbahn der Mandschurei
zwischen Japan und Rußland aufgeteilt. Mukden fällt noch in das
japanische Machtbereich. Bahnbesitz bedeutet hier Herrschaft über
einen Streifen Landes mit nicht nur betriebstechnischer, sondern
auch militärischer Besatzung. Die chinesischen Behörden dürfen,
in ihrem eigenen Lande, diesen Streifen amtlich nicht berühren; vor
meiner Ankunft hatte ein chinesischer Polizist auf der Spur eines
Verbrechers dieses Sperrgebiet betreten, war dabei von japanischen
Soldaten niedergemacht worden, und nicht die Japaner hatten sich
zu entschuldigen, sondern der chinesische Gouverneur mußte den
japanischen Behörden Genugtuung leisten. Über solche Reibereien
ernster und heiterer Art hat mir unser hochgemuter Konsul in Mukden,
der Rheinländer Herr Heintges, aus seiner langjährigen Erfahrung
Lehrreiches erzählt. Um die Bahnhofsanlagen, stattliche Ziegelbauten,
haben die Japaner ein ganzes Stadtviertel ausgelegt, mit breiten, sorg-
sam gepflasterten Plätzen und Straßen, die zu dem eigentlichen
Mukden wie zu etwas Fernem, Fremdem hinführen, zur »Chinesen-
stadt«, wie man in anderen Okkupationsgebieten, etwa dem russischen
Charbin, geringschätzend zu sagen pflegt.

Mir bot das alte Mukden die erste Vorstellung chinesischen
Eigenlebens. Ringsum schnurgerade, hohe Mauern mit acht mächtigen
Toren unter handfesten Türmen und keck geschweiften Ziegel-
dächern. Innen die ausgefahrenen, holprigen, kotbedeckten Straßen,
auf denen die Ochsenkarren mit ihren Lasten oder drinnen hockenden
Fahrgästen, die gelegentlichen Amtskutschen der Behörden und Kon-
suln und die Rikschas der Wohlhabenden nur unter Mühen voran-
kommen. Man steigt gern von seinem Wägelchen ab, um nicht an einer Wegkrümmung hinausgeschleudert
zu werden. Längs der Verkehrsstraßen die dicht geschlossenen Reihen der Kaufläden, Werkstätten, Garküchen,
meist gedrängt voll von Menschen, außen bis ans Dach behängt mit bunten Schildern, Bannern, Fahnen voll
leuchtender Sinnbilder und Schriftzeichen. Diese lehren anschaulichst, wie schon in Japan, welch unver-
gleichliches Mittel festlich wirkenden Schmuckes die unendlich wandelbaren Züge der chinesischen Buch-
staben abgeben. Wie armselig erscheint daneben unsere Schrift, und wieviel enger noch der künstlerische
Nutzen, den wir aus ihr zu ziehen wissen. Längs der stilleren Nebenstraßen schließen fensterlose Mauern
die Wohngebäude mit ihren Höfen, Gärtchen und Hallen vom Verkehr ab; nicht einmal durch das Straßen-
tor kann man einen Einblick erhaschen, weil gleich hinter ihm
die >Geistermauer« alle bösen Mächte und als solche auch neu-
gierige Augen fernhält. Das chinesische Haus ist ein Hofhaus,
wie einst in unserem Altertum das griechisch-römische es gewesen ist.

Mitten in der Stadt Mukden steht der stolze Kaiserpalast, einst
durch seine hohen Mauern peinlich verschlossen, heute, im Zeit-
alter der Republik, durch allerhand Verwaltungsverkehr belebt.
Von Kien-lung, dem großen, gelehrten Mandschukaiser erbaut, der
von 1736 bis 1796 sechzig Jahre lang stark und klug geherrscht
hat, birgt er noch heute einen unersetzlichen Schatz, das Hausgerät
des damaligen Kaiserhofes. Man sagt, es sei einem Abkommen
der Japaner und Russen zu danken, daß die Stadt Mukden und
ihre Kaiserburg in der Riesenschlacht von 1905 von Feuer und
Schwert verschont geblieben sind.

Durch die Straßen drängt die Volksmenge, deren ruheloses
Gewimmel, lautes Geschrei und übler Duft die chinesischen Städte
kennzeichnet. Die breite Masse der kleinen Leute in ihren indigo-
farbenen Baumwollenjacken nebst Hosen und filzbesohlten Schuhen,
die wandernden Händler mit Traggerüst oder einrädrigem Schub-
karren, die Rikschaführer, die Arbeiter aller Art. Von diesem
stumpfblauen Grunde heben sich die oft eleganten, langröckigen
Gestalten der Wohlhabenden ab, der Kaufleute, Beamten, Gelehrten,
zum Teil noch heute in wertvoller Seide, freilich seltener als früher
buntfarbig, sondern gern in Weiß oder Schwarz. Lebhaftere Ak-
zente tragen die Frauen hinzu, auch sie bekanntlich in ähnlichem
Schnitt wie die Männer, in engen Jacken und langen Beinkleidern. Chinese beim Spaziergang

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