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Die Arbeiten in geschichtlicher Folge

zwar auf den Eigentümlichkeiten des Metalltreibens gerade
so wie das architektonische Formengerüste der Gotik auf der
rechnungsmäfsig gewonnenen Formel des Steinmetzen. Die
Form des gotischen Pokals erwächst so gut wie ausnahmslos
aus der Buckelung [vgl. S. 8], Der Pokal ist ein Trink-
gefäfs von hoher Wandung; die Buckel werden in zwei Kränzen
von gleicher Zahl angeordnet, ein unterer mit kleinen Buckeln,
ein oberer, der Ausweitung des Gefäfses entsprechend, mit
gröfseren. Jeder dieser Buckelkränze kann verdoppelt werden;
dies führt jedoch nicht zu einer Vierteilung, sondern die Zwei-
teilung in der Höhe bleibt unter allen Umständen bestehen.
Wo der untere und der obere Buckelkranz — etwas unterhalb
der Mitte des Pokals — Zusammentreffen, erscheint der Körper
in sich gedreht und dadurch leicht eingeschnürt. Innerhalb
desselben Kranzes stofsen die Buckel scharf aneinander, nach
oben und unten hin schiefsen sie, fischblasenartig geschwungen,
mit schlanken Spitzen zwischen die nächsten Kränze hinein,
gelegentlich in sehr schwierigen und kunstvollen Windungen.
Den schlanken Schaft des Fufses bildet eine Röhre, deren
Riffel nach unten hin wieder in einem Kranz von Buckeln
enden, welcher dann naturgemäfs einen pafsartigen Abschlufs,
der Zahl der Buckel entsprechend, ergiebt. Diese Riffel und
Buckel können nur konstruktiv, aber nicht ornamental aus-
gebildet werden. Ebenso wie die Dienste an den Pfeilern
der gotischen Architektur, welche rein konstruktiv in das
Rippenwerk der Gewölbe übergehen, keine ornamentale Aus-
bildung im Sinne der antiken Kunst, keine Basis und kein
Kapitäl haben können, sondern nur durch umgelegte Blatt-
kränze verziert werden können, so verfügt auch der gotische
Pokal zu seinem Schmucke lediglich über angesetzte Blatt-
kränze von selbständiger Bildung, welche ganz äufserlich einen
Abschlufs bezeichnen oder auch nur die Aufgabe haben, eine
schlecht ausgebildete Stelle, wie den Ansatz des Fufses an
den Kelch, zu verhüllen. Der Deckel ist wie der Becher aus
Buckelkränzen gebildet; als Abschlufs findet sich niemals ein
Knauf, sondern die an dieser Stelle scharf zusammenlaufenden
Spitzen der Blasen erscheinen in eine Ranke ausgezogen,
welche, ähnlich wie die Kreuzblume, aber in weniger strengen
Formen, nach oben ausladet; hier findet sich ein Blütenkelch
mit Blumen oder Frucht, auch wohl mit figürlichem Schmuck,
dem einzigen an diesem Pokal. Auf diese Weise bildet der
Buckelbecher, welcher »knorrecht« oder »knorret« genannt
wird, ein geschlossenes organisches Ganzes von höchster
Standfähigkeit, höchstmöglichem Inhalt und glänzender Leucht-
kraft auf den bewegten Flächen. Auch im Innern des Bechers
ist die Spiegelung in den Höhlen der Buckel von aufserordent-
lichem Reiz. Es ist zu beachten, dafs von dieser volkstüm-
 
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