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Mander, Carel van; Floerke, Hanns [Übers.]
Das Leben der niederländischen und deutschen Maler (Band 1) — München, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.7515#0078

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Das Leben des Malers Rogier van der Weyden von Brüssel 75

stammte und schon sehr früh in der dunkeln Zeit unserer
Kunst zu Brüssel das Licht des Genies, das die Natur in
seinem edlen Geiste angezündet hatte, zur grossen Be-
wunderung und Offenbarung für die Künstler seiner Zeit hat
leuchten lassen. Denn er hat unsere Kunst sehr verbessert,
indem er durch seine Erfindung und Behandlung seinen
Arbeiten ein vollkommeneres Aussehen verlieh, sowohl was
den Bewegungsinhalt der Figuren betrifft, als auch in der
Komposition und in der Charakterisierung der seelischen Er-
regungen, wie Betrübnis, Zorn oder Freude, je nachdem der
Vorwurf es verlangte. Zu seinem ewigen Gedächtnis sind
auf dem Rathaus zu Brüssel sehr berühmte Bilder von
ihm zu sehen, nämlich vier auf die Justiz bezügliche Szenen.79
An erster Stelle steht da das ausgezeichnete und bemerkens-
werte Bild, da der alte Vater krank im Bette liegt und
seinem verbrecherischen Sohne den Hals abschneidet. Hier
ist sehr treffend der Ernst des Vaters dargestellt, der die
Zähne zusammenbeisst und ohne Gnade ein so grausames
Gericht an seinem eigenen Kinde vollzieht. Ein weiteres
Bild zeigt, wie, um dem Recht Genüge zu tun, einem Vater
und seinem Sohn je ein Auge ausgestochen wird.80 Die
anderen Bilder zeigen ähnliche Bezüglichkeiten. Es sind
Dinge, die man mit Bewunderung sieht, und die auch den
gelehrten Lampsonius, als er an dieser selben Stelle be-
schäftigt war zur Beruhigung der Niederlande die
Pazifikation von Gent zu schreiben, so sehr bewegten,
dass er seine Augen kaum davon abwenden konnte und
während der Arbeit des öfteren rief: „O Meister Rogier, was
bist du für ein Mann gewesen!" und ähnliche Worte, obwohl
er mit einer so wichtigen Sache beschäftigt war.81 Von
Rogier war auch zu Löwen in einer Kirche, die „Unsere
Frau vor den Mauern" heisst, eine Kreuzabnahme.82 Hier
sah man zwei auf zwei Leitern82 stehende Männer den Leich-
nam auf einem Leintuch hinabgleiten lassen. Unten standen
Joseph von Arimathia und andere, die ihn in Empfang
nahmen, und sassen die Marien, sehr rührend anzusehen und
weinten, während die in Ohnmacht gefallene Muttergottes
 
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