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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 10.1967

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Nr. 1
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Kahlenberg, Käthe: Zur Diskussion gestellt: Die Bassariden, Gedanken zu einer Aufführung der Berliner Festwochen Oktober 1966
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https://doi.org/10.11588/diglit.33074#0006

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eine nicht erhaltene Tragödie des Aischylos aus der „Lykourgie“). Zu den wich-
tigsten inhaltlichen Abänderungen gehört die Umdeutung der Gestalt des
Pentheus. Sein Beweggrund, den neuen Dionysoskult zu verbieten, liegt nicht in
der Hybris (Anm.: Die Auffassung, in der antiken Tragödie liege die Hybris als
Hauptschuld gegenüber den Göttern fast allen Tragödien zugrunde, ist vielleicht
zu stark vereinfacht), sondern er verwirft den Polytheismus überhaupt und er-
strebt einen „philosophischen Idealismus“, der von den Menschen eine vernunft-
bestimmte Lebenshaltung und Unterdriickung der Leidenschaften fordert. Die
Problematik, die nun aus dem Gegensatz zu den Anhängern einer ekstatischen
Religionsform und einer abergläubischen Verehrung kultischer Symbole (wie
Grab der Semele mit dem ewigen Feuer, das er mit seinem Mantel selbst - als
erste Regierungshandlung - auslöscht) erwächst, ist fiir Menschen des 20. Jahr-
hunderts verständlicher; daß auch Pentheus sich aus dieser selbst auferlegten
asketischen Lebensweise zu befreien wünscht, soll das komische Intermezzo
„Urteil der Kalliope“ zeigen, das in seiner Art etwa dem antiken Satyrspiel oder
der Opera buffa entspricht. Dionysos läßt mit Hilfe eines Spiegels Pentheus das
frivole Schäferspiel, in dem seine Mutter und ihre Schwester den Hauptmann
der königlichen Wache für sich zu gewinnen suchen, betrachten und bringt ihm
seine eigene unterdrückte Triebhaftigkeit zum Bewußtsein, die wiederum der
innere Anlaß dazu ist, den dionysischen Kult mit seiner enthemmenden Wirkung
zu verdammen.

Die Kostüme sind so gestaltet, daß sie die Charaktere der einzelnen Personen
sichtbar werden lassen. „Die archetypisch-zeitlosen Figuren sind in ihre eigene
Mode gekleidet, d. h. jede in einen historischen Stil, der ihr wesensgemäß ist:
eine Kostümentleihung, die ihre Grundveranlagungen in eine entsprechende
geschichtliche Gegenwart hebt.“ Im Verlauf der dramatischen Handlung wandeln
sich entsprechend der Enthüllung verschiedener Charaktermerkmale die Kostüme
bei Pentheus, Agaue, Dionysos (Anm.: die Deutung entnehme ich den Anmer-
kungen des Textbuches und der Gestaltung der Berliner Aufführung): Kadmos
trägt ein antikes Faltengewand, bis auf die Erde reichend, blauer Mantel.

Pentheusist dunkel gekleidet, „ein mittelalterlicher König auf Pilgerfahrt“;
in seiner Verwandlung als Mänade: „bekleidet mit einem Kleid der Agaue -
dem Stil nach würde es sich für eine Ausfahrt im Bois de Boulogne eignen“ -
ein Rehfell um die Taille geschlungen. Teiresias tritt im Gewand eines angli-
kanischen Archidiakonus auf, ein Rehfell über dem Arm, einen Stock mit Fenchel
verziert, in der Hand. Dionysos, unerkannt, bei der ersten Begegnung mit
Pentheus, „erscheint als blasierter Halbwüchsiger, trägt die Schwermut eines
Byron zur Schau“; Kleidung: weiches, offenes Hemd und schmale Hosen,
Thyrsosstab getragen als Spazierstock; im Schlußbild tritt er als „Beau“ auf aus
der Zeit der englischen Romantik, trägt Monokel, Lorgnette.

Agaue ist kunstvoll gekleidet und frisiert, „Stil des zweiten Empire“, etwas
einfacher, Autonoe; im zweiten Satz, wenn sie triumphierend mit dem Haupt
des Pentheus im Arm erscheint, ist ihre Kleidung so zerfetzt, daß die prunkvoll
gebauschten Röcke verschwunden sind und nur ein schlichtes, zerrissenes Unter-
gewand übrig blieb. So nähert sie sich dem Erscheinungsbild der Agaue auf dem
griechischen Vasenbild. (Anm.: Gegenüberstellung im Journal S. 2/3 rotfigurige

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