verheerende Wirkung der Bora, deren plötzliches Auftreten den Ausschlag gegen die
heidnischen Truppen gab, selbst erlebt. (V, 255; 543)
Yon einer Kontroverse mit Bernheim über die Genialität Augustins berichtet Seeck
selbst im Anfang des letzten Bandes (VI, 385). Schon zu seiner Zeit gab es die Diskussion
über Augustin als „antiker“ oder als „mittelalterlicher Mensch“, an der er sich nicht be-
teiligt; Holl und Tröltsch werden von ihm nicht zitiert. Seeck stützt sich auf die Tyco-
nius-Studien von Traugott Hahn und auf H. Scholz „Glaube und Unglaube in der Welt-
geschichte“. In diesem Zusammenhang klingt die alte Tlrese an, wie sie etwa bei Gibbon
vertreten wird, die „Christen“ seien - infolge der mangelnden Staatsgesinnung - an
Roms Untergang schuld. (VI, 32) In die fortlaufende Erzählung der Ereignisse bis 476
sind ausführliche Exkurse über die Kodifikation des Rechts und über den monophysi-
tischen Streit, über den Antigermanismus und über die Völkerwanderung eingefügt.
Dem Ereignis von 476 haben die Zeitgenossen - das gibt Seeck zu - keine Bedeutung
beigemessen. Wenn er damit seine Darstellung abschließt, so betont er den Symbol-
charakter, den bestimmte Epochenjahre haben. Er unterstreicht damit auch seinen
Standpunkt als Profanhistoriker und verzichtet auf eine Zusammenfassung unter
geistesgeschichtlichen Perspektiven. Trotz der erwähnten umfangreichen Exkurse auf den
Gebieten der Kultur- und Religionsgeschichte, wird die „Welt“, deren Untergang Seeck
beschreibt, primär politisch gesehen; das Handeln oder Unterlassen, das Ethos oder die
Charakterlosigkeit der Menschen, gemessen an einer Wertskala neuzeitlichen Denkens,
stehen im Vordergrund. Das weite Feld der Kunstgeschichte bleibt unbestellt: Die Arbei-
ten Riegls und Strzygowskis bleiben unberücksichtigt, die zu Beginn des Jahrhunderts
halfen, den auf das Klassische gerichteten Blick in andere künstlerische Dimensionen
schweifen zu lassen und damit für die Probleme des Zeitwandels zuschärfen.
Nicht selten taucht bei dem postumen Erscheinen namhafter Werke die Frage auf,
ob dem Andenken des von den Zeitgenossen geschätzten Autors dadurch ein Dienst er-
wiesen wird, daß überholte Standpunkte weiter publiziert werden. Der Abstand zu
Seecks Werk ist jetzt groß genug, um seine Geschichte des Untergangs in ihren Vorzügen
und Schwächen würdigen zu können, ohne daß durch eine Kürzung oder Bearbeitung
ein Hinweis auf die Bahnen gegeben wird, die die Wissenschaft im letzten halben Jahr-
hundert eingeschlagen hat. Insofern hat der Verlag recht daran getan - das sei noch ein-
mal unterstrichen -, den Text in vollem Umfange abzudrucken. Er hätte auch die Wid-
mung „Meinem Sohn Fritz“ auf dem Vorsatzblatt des Bandes VI vollständig wieder-
geben sollen; sie lautet: „Meinem Sohne Fritz, der zur Rettung des überfallenenDeutsch-
land vergebens sein junges freudenreiches Leben hingeopfert hat, zum dauernden Ge-
dächtnis.“ Man darf nicht übersehen, daß das Kriegserlebnis nicht nur die Kulturphilo-
sophen geprägt hat; das gilt für Sieger und Besiegte, für Spengler und für Toynbee, in
gleicher Weise auch für den Fachhistoriker. „Die Ereignisse sind über uns hinweggegan-
gen und haben uns wie betäubt zurückgelassen. Einst vermochten wenige die Umrisse
dessen zu ahnen, was kommen sollte, und wenn es ihnen gegeben war, so konnten sie
sich schwerlich den Ausgang in seiner unmittelbaren Gegenständlichkeit vorstellen 2.“ So
äußert sich Altheim, dem wir auf dem Wege der universalgeschichtlichen Betrachtungs-
weise Einsichten in den Niedergang der Alten Welt, in seine Ursachen, übrigens auch in
den Primat der Außenpolitik verdanken. Eine Analyse des Seeckschen Werkes wird so-
wohl der Fortführung des „Europäischen Gespräches“ dienen, um die Formulierung W.
Rehms 3 zu gebrauchen, die er für die zweitausend Jahre alte Diskussion über die Ur-
sachen des Untergangs verwendet, als auch Erkenntnisse für die Geisteshaltung der
deutschen Wissenschaft vermitteln, wie sie vor und während der ersten Katastrophe zu
konstatieren ist, die Deutschland in diesem Jahrhundert traf. Man wird das Zeugnis
eines Seeck, der 1850 geboren, in der Blütezeit des Kaiserreichs 1895 mit der Ver-
öffentlichung seines Lebenswerkes begann und die Katastrophe - 1921 ist er gestorben -
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heidnischen Truppen gab, selbst erlebt. (V, 255; 543)
Yon einer Kontroverse mit Bernheim über die Genialität Augustins berichtet Seeck
selbst im Anfang des letzten Bandes (VI, 385). Schon zu seiner Zeit gab es die Diskussion
über Augustin als „antiker“ oder als „mittelalterlicher Mensch“, an der er sich nicht be-
teiligt; Holl und Tröltsch werden von ihm nicht zitiert. Seeck stützt sich auf die Tyco-
nius-Studien von Traugott Hahn und auf H. Scholz „Glaube und Unglaube in der Welt-
geschichte“. In diesem Zusammenhang klingt die alte Tlrese an, wie sie etwa bei Gibbon
vertreten wird, die „Christen“ seien - infolge der mangelnden Staatsgesinnung - an
Roms Untergang schuld. (VI, 32) In die fortlaufende Erzählung der Ereignisse bis 476
sind ausführliche Exkurse über die Kodifikation des Rechts und über den monophysi-
tischen Streit, über den Antigermanismus und über die Völkerwanderung eingefügt.
Dem Ereignis von 476 haben die Zeitgenossen - das gibt Seeck zu - keine Bedeutung
beigemessen. Wenn er damit seine Darstellung abschließt, so betont er den Symbol-
charakter, den bestimmte Epochenjahre haben. Er unterstreicht damit auch seinen
Standpunkt als Profanhistoriker und verzichtet auf eine Zusammenfassung unter
geistesgeschichtlichen Perspektiven. Trotz der erwähnten umfangreichen Exkurse auf den
Gebieten der Kultur- und Religionsgeschichte, wird die „Welt“, deren Untergang Seeck
beschreibt, primär politisch gesehen; das Handeln oder Unterlassen, das Ethos oder die
Charakterlosigkeit der Menschen, gemessen an einer Wertskala neuzeitlichen Denkens,
stehen im Vordergrund. Das weite Feld der Kunstgeschichte bleibt unbestellt: Die Arbei-
ten Riegls und Strzygowskis bleiben unberücksichtigt, die zu Beginn des Jahrhunderts
halfen, den auf das Klassische gerichteten Blick in andere künstlerische Dimensionen
schweifen zu lassen und damit für die Probleme des Zeitwandels zuschärfen.
Nicht selten taucht bei dem postumen Erscheinen namhafter Werke die Frage auf,
ob dem Andenken des von den Zeitgenossen geschätzten Autors dadurch ein Dienst er-
wiesen wird, daß überholte Standpunkte weiter publiziert werden. Der Abstand zu
Seecks Werk ist jetzt groß genug, um seine Geschichte des Untergangs in ihren Vorzügen
und Schwächen würdigen zu können, ohne daß durch eine Kürzung oder Bearbeitung
ein Hinweis auf die Bahnen gegeben wird, die die Wissenschaft im letzten halben Jahr-
hundert eingeschlagen hat. Insofern hat der Verlag recht daran getan - das sei noch ein-
mal unterstrichen -, den Text in vollem Umfange abzudrucken. Er hätte auch die Wid-
mung „Meinem Sohn Fritz“ auf dem Vorsatzblatt des Bandes VI vollständig wieder-
geben sollen; sie lautet: „Meinem Sohne Fritz, der zur Rettung des überfallenenDeutsch-
land vergebens sein junges freudenreiches Leben hingeopfert hat, zum dauernden Ge-
dächtnis.“ Man darf nicht übersehen, daß das Kriegserlebnis nicht nur die Kulturphilo-
sophen geprägt hat; das gilt für Sieger und Besiegte, für Spengler und für Toynbee, in
gleicher Weise auch für den Fachhistoriker. „Die Ereignisse sind über uns hinweggegan-
gen und haben uns wie betäubt zurückgelassen. Einst vermochten wenige die Umrisse
dessen zu ahnen, was kommen sollte, und wenn es ihnen gegeben war, so konnten sie
sich schwerlich den Ausgang in seiner unmittelbaren Gegenständlichkeit vorstellen 2.“ So
äußert sich Altheim, dem wir auf dem Wege der universalgeschichtlichen Betrachtungs-
weise Einsichten in den Niedergang der Alten Welt, in seine Ursachen, übrigens auch in
den Primat der Außenpolitik verdanken. Eine Analyse des Seeckschen Werkes wird so-
wohl der Fortführung des „Europäischen Gespräches“ dienen, um die Formulierung W.
Rehms 3 zu gebrauchen, die er für die zweitausend Jahre alte Diskussion über die Ur-
sachen des Untergangs verwendet, als auch Erkenntnisse für die Geisteshaltung der
deutschen Wissenschaft vermitteln, wie sie vor und während der ersten Katastrophe zu
konstatieren ist, die Deutschland in diesem Jahrhundert traf. Man wird das Zeugnis
eines Seeck, der 1850 geboren, in der Blütezeit des Kaiserreichs 1895 mit der Ver-
öffentlichung seines Lebenswerkes begann und die Katastrophe - 1921 ist er gestorben -
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