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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 11.1968

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Nr. 3
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Schönberger, Otto: [Rezension von: Saul B. Robinson, Bildungsreform als Revision des Curriculum]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33078#0047

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jungen Frau) darstellt, die in höchster Qual sich den Entschluß zum Widerstand abringt
(von „chthonischer Hinneigung“ würde ich jedenfalls nicht reden, um Antigone etwa
eine Todesneigung zu unterstellen; das ist aber bei Robinson nicht ganz klar), und weil
diese Antigone in 1000 Jahren genauso „modern“ und verständlich sein wird, wie sie es
vor 2000 Jahren war. Gerade diese Freiheit von jeder niodernen Beiproblematik ist es,
die dem Leser die Möglichkeit des freien, unbeeinflußten Reagierens sichert und die
Übertragung in seine Zeit uns seine Umgebung ermöglicht; Brecht liest man dazu (solche
Methode ist dem altsprachlichen Unterricht längst geläufig) und vergleicht, eine Alter-
native zwischen Sophokles und Brecht ist also gar nicht aufzustellen. Robinson sollte
aber einmal lesen, was B. Snell in „Die alten Griechen und wir“ (Göttingen 1962;
S. 37ff.) über die Einfachheit antiker Dramengestalten schreibt, um zu sehen, daß die
Alternative Sophokles oder Brecht so gar nicht möglich ist. Und ist die sophokleische
Antigone etwa nicht „in Probleme politischen Handelns hineingestellt“ (Robinson 20)?

Robinson sagt im folgenden, das Studium der geistigen Quellen der Antike und ihrer
sprachlichen Grundstrukturen könne beglückend sein, und das gelte nicht nur für den
Gelehrten, sondern für jeden, der hier Inspiration zu suchen vermag. Hoffentlich ver-
stehen wir uns aber recht: Beglückung sucht der altsprachliche Unterricht auch, in Wahr-
heit sucht er aber in harter Arbeit seine Zöglinge zu Leistung, Denken, Kritik, Formung
und Vertiefung des Lebens zu erziehen; daß dabei Geist und Seele, Intelligenz und Ge-
fühl zugleich auf ihre Rechnung kommen sollen (wobei dann „Begliickung“ — aber kein
Glück im Winkel - mitgehen soll), ist eine der Hauptstärken seiner Fächer. Und an das
Wort „vermag“ bei Robinson wäre eine ganze Erörterung anzuknüpfen über das „Ver-
mögen“ von Schülern, Inspiration zu suchen oder sich geben zu lassen.

Robinson beendet diese Erörterung mit der Feststellung, eine zentrale Position im
Curriculum der allgemein bildenden Schule sei für diese Welt (der Antike) nicht nach-
gewiesen. Darauf ist zu sagen, daß nicht jeder Latein und Griechisch zu lernen braucht,
daß aber für die ganz beachtliche Anzahl von Eltern, die Latein oder Griechisch für ihre
Kinder wünschen, sehr wohl ein zentraler Platz im Curriculum von Schulen da sein
sollte. Da Robinson auf Befragungen Wert legt, sei hier das Ereignis einer demosko-
pischen Rundfrage angeführt, das H. Dietz in seinem Buch „Schule und jugendliche
Existenz“ veröffentlicht: 58% der Befragten bejahten den Nutzen des Lateinunterrichts,
33% den des Griechisch-Unterrichts. Wenn wir schon eine pluralistische Gesellschafl
haben, erbitten wir für Griechisch Minoritäten —, für Latein Majoritätenschutz.

Robinson schließt mit dem Wunsche, man möge auch in der Pädagogik auf einen
Wortgebrauch verzichten, der das „Humanistische“ exclusiv mit der abendländischen
Antike identifiziert. Er meint, der Begriff etwa des „technologischen Humanismus“
werde dem Klassischen Humanisten wenig zusagen. Hier kann ich nur von mir aus
wiederholen, was oben schon gesagt ist: Man soll mit dem Wort Humanismus keinen
Kult und keinen Antikult treiben. Ich persönlich bin zufrieden, wenn meine Kinder
am Gymnasium so gefördert werden, wie ich es oben andeutete. Mir sind Menschen
lieber als Humanisten, Menschen freilich, die wissen, wo sie stehen und wohin sie gehen,
weil sie wissen, woher sie gekommen sind. Und ich persönlich habe gegen einen techno-
logischen und erst recht gegen einen religiösen oder politischen „Humanismus“ (wenn es
denn schon einer sein soll) nicht das mindeste einzuwenden. Nur fürchte ich, daß der
das Wesen der Humanität mißversteht, der sie durch vorgesetzte Adjektive auf irgend-
welche Bereiche einschränkt. Menschlichkeit, und da wird wohl auch Herr Robinson zu
stimmen, ist unteilbar.

O. Schönberger, Gerbrunn

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