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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 23.1980

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Nr. 2
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Fuhrmann, Manfred: Allgemeinbildung - Staatsethos - Alte Sprachen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33077#0032

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primär durch eine Religion bestimmten Horizontes vornehmlich sein Mensch-
sein verwirklichen kann und soll. Hierbei wird als unbestreitbar vorausgesetzt,
daß im Zeitalter der technisch-industriellen Naturbeherrschung für Weltorien-
tierung und richtiges Handeln auch hinlängliche mathematische und naturwis-
senschaftliche Kenntnisse unbedingt erforderlich sind.
Man kann fragen, ob es einer Allgemeinbildung - der gründlichen Zurüstung
in den genannten Bereichen — überhaupt noch bedürfe.
Hier wird vorausgesetzt, daß dem so ist, daß also für die genannten Bereiche
nach wie vor etwas getan werden, ja daß desto mehr für sie getan werden muß,
je stärker die Spezialisierung und Funktionalisierung innerhalb unserer Gesell-
schaft alles Gemeinsame in den Hintergrund drängt.
2. Am politischen Geschehen haben in der modernen parlamentarischen Demo-
kratie sehr wenige unmittelbar und die meisten (wenn man von den Wahlen ab-
sieht) nur mittelbar teil. Bei der mittelbaren Teilhabe lassen sich vielleicht drei
— einander durchdringende — Grundmuster unterscheiden:
die Bereitschaft, allen denen, die unmittelbar auf das politische Geschehen ein-
wirken, ein gewisses, freilich nicht unkritisches Vertrauen entgegenzubringen;
die Fähigkeit, das politische Geschehen begrifflich und unter Berücksichtigung
der jeweiligen Bedingungen und Möglichkeiten zu erfassen und zu beurteilen;
der Wille, durch sachliche Argumentation auf die öffentliche Meinung einzu-
wirken und so nach bestem Vermögen zur Verhinderung von politischen Fehl-
entscheidungen, zur Beseitigung von Mißständen usw. beizutragen.
Die Klammer, die sowohl die unmittelbare Teilhabe als auch die drei Grund-
muster der mittelbaren Teilhabe am politischen Geschehen umgreift, wird als
Staatsethos bezeichnet: ein allen Staatsbürgern gemeinsamer Bestand von poli-
tischen Grundüberzeugungen. Hierzu gehört, daß die Staatsbürger bereit sind,
die gegebene Staats- und Gesellschaftsordnung im ganzen zu bejahen, ihr eige-
nes Leben an den Maximen dieser Ordnung zu orientieren und — falls sie sei es
von innen, sei es von außen bedroht wird — Opfer für sie zu bringen. Die hier
gemeinte Haltung nimmt weder alles hin, was die gegebene Ordnung mit sich
bringen kann (z. B. Korruption, technokratische Auswüchse, notorische Unfä-
higkeit), noch aber glaubt sie, Mängel müßten alsbald durch Maßnahmen be-
kämpft werden, welche die Grundlage dieser Ordnung angreift. Sie beruhtauf
der durch geschichtliche Anschauung vermittelten Einsicht, daß sich in der
Wirklichkeit stets nur Annäherungen an ideale Verhältnisse erreichen lassen —
schon deshalb, weil die Auffassungen, was unter idealen Verhältnissen zu ver-
stehen sei, erheblich differieren können. Sie übt Toleranz gegenüber fremden
Meinungen, weiß von der Bedingtheit alles Menschlichen und zeigt daher Skep-
sis gegenüber utopischen Verheißungen; sie meidet Rigorismus und ist anderer-
seits bereit, mit Hartnäckigkeit nach der Verwirklichung des je Erreichbaren zu
streben.

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