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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0026
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1.2 Quellenlage

25

deutlicht, dass Briefsammlungen54 lediglich einen Teil der tatsächlichen schrift-
lichen Kommunikation umfassen - ein Teil, der in seinen Ausmaßen zudem
kaum bestimmbar ist.55
Rechtstexte weisen ein heterogenes Potential auf. Privat- und Königsur-
kunden enthalten in den meisten Fällen wenige indirekte, selten genug direkte
Hinweise auf Kontakte, die mit der Kirchenreform in Zusammenhang stehen. So
sind die Reformen der Kanoniker von Avignon, Florenz und Cesena allein aus
den Rechtstiteln der Ortsbischöfe bekannt, während für das personelle Umfeld
Leos IX. aus den Urkunden keinerlei Reformverhalten erschlossen werden
kann.56 Bei den Königsprivilegien offenbart sich ein ähnliches Bild, so dass man
auf die Kombination von Hinweisen angewiesen ist: Beispielsweise erwirkten
die Reformäbte Lambert von SantApollinare in Classe sowie Guido von Pom-
posa am 16. September 1045 bei König Heinrich IIL, der sich in Bodfeld im Harz
aufhielt, Besitzbestätigungen für ihre Klöster.57 Wegen der Entfernung von nur
60 km zwischen beiden Klöstern und einer Distanz zum Harz von etwa 1200 km
ist eine Interessen- und Reisegemeinschaft zu vermuten. Für die Papsturkunden
nahm Seibert Ähnliches an.58 Die vermutete Reisezeit von mehr als fünf Wochen
könnte viel Raum für reformerischen Gedankenaustausch geboten haben, doch
schweigen die Quellen hierüber. Dieser Umstand wird ferner dadurch bedingt,
dass sich die regelmäßige Nennung der Intervenienten und aller anwesenden
Großen in Königsurkunden erst später durchsetzte.59 Während die Urkunden
Konrads II., Heinrichs IIL und Heinrichs IV. bzw. der Kaiserin Agnes in mo-
dernen MGH-Editionen vorliegen, trifft dies für die Papsturkunden lediglich bis
1046 zu.60 Für die nachfolgende Zeit bleiben Mignes Ausgaben zu benutzen, was
umso misslicher ist, als gerade nach 1046 die päpstliche Urkundenproduktion
rein quantitativ das bisherige Monopol der Königsurkunde im Reich durch-
brach,61 ein Großteil dieser Urkunden aber nicht bei Migne verzeichnet ist.62

54 Vgl. Scior, Veritas 2006, S. 114f.; Constable, Leiters 1976. Zudem ist der primär literarisch-
rhetorische Zweck von Briefsammlungen zu berücksichtigen, vgl. Wetzstein, Bedeutung 2008, S.
259.
55 Gründe dafür liegen auch im Umgang mit Briefen, beispielsweise in deren Verbrennen nach der
Lektüre, begründet: Vgl. hierzu beispielsweise den Liber gratissimus (Petrus Damiani, Briefe 1,
Nr. 40, S. 508, Z. 6).
56 Zu Cesena s. unten Abschnitt VI.2.2.17, zu Avignon VI.2.2.7, zum Umfeld Leos Parisse, En-
tourage 2006, S. 455.
57 Ausführlicher dazu unten Anm. 2084.
58 Seibert, Kommunikation 2006, S. 15: „Welche Strapazen viele der adligen Klosterstifter oder
Vorsteher dafür [i.e. die Urkundenausstellung] auf sich nahmen, lässt sich angesichts der
dürftigen Angaben der Quellen nur erahnen. Einzeln oder im Bund mit Gleichgesinnten be-
nachbarter Kirchen unternahmen sie die beschwerliche Reise zum Papst."
59 Zum Übergang von gelegentlicher zu regelmäßiger Nennung vgl. van Eickels, Zeitenwende
2004, S. 24, Anm. 24.
60 MGH DD H III; MGH DD KII; MGH DD H IV; Papsturkunden; vgl. dazu RI2 III, 5, If.
61 Während Konrad II. und Heinrich IIL auf durchschnittlich 20 Diplome pro Jahr gekommen
seien, wäre die jährliche päpstliche Urkundenproduktion von ca. sieben Stück bis 1046 auf fast 37
Stück unter Leo IX. angestiegen, so Seibert, Kommunikation 2006, S. 14.
 
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